Destinationen

Charteryachten und Skipper mit dem eigenen Schiff sind hier herzlich willkommen. Die Citymarina Stralsund liegt am Westufer des Strelasunds. Bild: TMV / Tiemann

Land der 1000 Seen mit guten Verbindungen aus der Schweiz

Artur K. Vogel

Von Mai bis Oktober bietet Lübeck Air wieder direkte Flüge ab Bern – möglicherweise bald auch ab Zürich – nach Heringsdorf auf der Insel Usedom an. Die Schweiz könnte so, nach Deutschland, zum wichtigsten Quellmarkt von Mecklenburg-Vorpommern werden, sagt dessen Tourismusdirektor.

Mecklenburg-Vorpommern, kurz MV, das nordöstlichste deutsche Bundesland an der Grenze zu Polen, kommt einem Schweizer nicht als erstes in den Sinn, wenn er an Ferien denkt. Von der Bundesstadt Bern zur Landeshauptstadt Schwerin sind es ziemlich genau 1000 Kilometer. Und MV liegt im Norden, nicht im Süden. Zudem ist MV bis heute vorwiegend ein Urlaubsgebiet für Deutsche, die 96 Prozent aller Touristen ausmachen, wie Tobias Woitendorf festhält. An zweiter Stelle kommen die Holländer, danach Dänen und Schweden, sagt der Geschäftsführer des Tourismusverbandes MV im Interview mit travelnews.ch in seinem Büro mit Blick auf den Hafen von Rostock.

Doch Woitendorf meint, Schweizer Gäste könnten demnächst auf den zweiten Platz hinter den deutschen vorrücken. Zwar zählte MV vor der Pandemie nur 160'000 Gästeankünfte von Schweizern pro Jahr. Aber «die Verkehrsverbindungen sind gut, auch für jene, die nicht im Auto anreisen: Die internationalen Flughäfen von Hamburg und Berlin mit täglichen Direktverbindungen aus der Schweiz sind nicht weit von MV entfernt. Direkte Zugsverbindungen, auch Nachtzüge, aus der Schweiz in die beiden Grossstädte gibt es ebenfalls.» An Sommerwochenenden wird zudem ein Nachtzug ab Basel nach Binz auf der Insel Rügen verkehren, der auch in Hamburg, Schwerin, Rostock und Stralsund hält.

Während dem Gespräch mit Woitendorf trifft eine weitere positive Nachricht ein: Lübeck Air wird von Anfang Mai bis Ende Oktober wieder Direktflüge ab Bern nach Heringsdorf auf der Insel Usedom durchführen. Geprüft werden auch mögliche Flüge ab Zürich.

Tourismusdestination par excellence

Wenn das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in der Schweiz vielleicht noch nicht so bekannt ist, so ist es doch eine Tourismusdestination par excellence mit sehr langer Tradition. «Wir haben die höchste Touristendichte Deutschlands», sagt Tobias Woitendorf. «Bei 1,6 Millionen Einwohnern zählen wir offiziell sieben Millionen Gästeankünfte pro Jahr in Hotels, Pensionen und Campingplätzen. Wenn man Ferienwohnungen, private Beherbergung, Hausboote und so weiter mit einbezieht, dürften es eher zwölf Millionen sein.»

Tobias Woitendorf, Direktor Mecklenburg-Vorpommern. Bild: Artur Vogel

Die Zahlen beziehen sich auf die Jahre vor Corona. Während der Pandemie waren Hotels und Gastronomiebetriebe monatelang geschlossen. Trotzdem: «2020 haben wir noch einigermassen gut überstanden», sagt Woitendof. Aber «2021 war katastrophal: Im Juni war bei uns, im Gegensatz zum Nachbarland Schleswig-Holstein, noch alles geschlossen. Dieser Unsicherheit fiel fast die ganze Sommersaison zum Opfer.»

Saison verlängert sich

Dabei ist MV eine ausgesprochene Sommer-Destination: Zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik DDR (1949 bis 1990) kamen 90 Prozent der Touristinnen und Touristen im Sommer. Allerdings bahnt sich eine Verschiebung an. «In Corona-Zeiten hat sich die Saison schon bis in den Oktober verlängert. Immer mehr Leute wissen den Frühling, den Herbst und auch die winterliche Einsamkeit und landschaftliche Schönheit zu schätzen», sagt der Tourismusdirektor. «Heute sind wir bei 70 zu 30, und wir arbeiten daran, dass sich die Zahlen ausserhalb der Sommersaison weiter verbessern.»

Das heutige Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist schon seit sehr langer Zeit vom Tourismus geprägt. Bis zum Zweiten Weltkrieg war vor allem der Gesundheitstourismus in den Ostsee-Bädern gefragt. Zu DDR-Zeiten war die Ostseeküste einer der wenigen Orte, wo DDR-Bürgerinnen und Bürger einen unbeschwerten Urlaub verbringen konnten. Strandferien im Sommer waren das höchste der Gefühle.

Seit der Wende wurde der Fremdenverkehr von Grund auf neu aufgebaut und positioniert. Private und die Öffentlichkeit haben Milliarden in die Infrastruktur investiert. Das ist allenthalben zu sehen: Städte wie Rostock, Schwerin, Wismar oder Stralsund, die in den kommunistischen Jahrzehnten verlottert, halb zerfallen und teilweise mit architektonisch fragwürdigen Gebäuden verunstaltet worden waren, erstrahlen im neuen Glanz. Wismar und Stralsund wurden gemeinsam wegen ihrer attraktiven, seit dem Mittelalter nicht veränderten Grundrisse vor 20 Jahren ins Unesco-Verzeichnis des Weltkulturerbes aufgenommen, was dieses Jahr zahlreiche Jubiläumsanlässe nach sich ziehen wird. Hotels sowohl in den Städten wie an der Küste erfüllen heute internationale Standards. Und Gäste geniessen eine exzellente Gastronomie.

Historische Strasse in der Hansestadt Stralsund. Bild: TMV

Unterschiedlichste Naturerlebnisse

MV richtet den Fokus jetzt stark auf die Natur: «Wir können eine einmalige Dichte an unterschiedlichsten Naturerlebnissen bieten», vermeldet Woitendorf stolz. Unter anderem unterhält MV drei Nationalpärke, mehr als jedes andere Bundesland. Diese Naturlandschaften sollen erlebbar gemacht werden, sagt Woitendorf weiter: «Wir unterhalten mehr als 30 Naturzentren, und zur Umweltbildung und Naturvermittlung setzen wir z.B. auch Ranger ein.»

Mit einer Rangerin, Lilia Reisig, haben wir den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst durchstreift. Bodden werden hier die Lagunen genannt, welche die Halbinsel auf der einen Seite abgrenzen; auf der anderen ist die Ostsee, mal friedlich, mal sturmgepeitscht wie bei unserem Besuch. Rangerin Reisig, studierte Umweltwissenschaftlerin, macht uns auf zahlreiche Details aufmerksam: Erlen, die den ganzen Winter im Wasser stehen, ohne dass ihre Wurzeln verfaulen; eine Küste, die von den anstürmenden Elementen jeden Tag verändert wird. Nur den prächtigen Sonnenuntergang, den man vom Ufer und vom naturbelassenen Wald aus geniessen kann, mussten wir uns mit Hilfe von Handy-Fotos vorstellen.

«Unser Engagement wird auch international belohnt», fährt Tourismusdirektor Woitendorf fort: Die uralten Buchenwälder im Nationalpark Jasmund auf Rügen und im Nationalpark Müritz in der Mecklenburger Seenlandschaft gehören seit 2011 zum UNESCO-Weltnaturerbe «Alte Buchenwälder Deutschlands».

Das Ostseebad Ahrenshoop auf Fischland-Darss-Zingst. Bild: VB

Camping- und Hausbootferien

Denn nicht nur alte Städte, geschützte Wälder, Lagunen und die Ostsee-Strände mit ihren Badeorten machen MV attraktiv. In der Mecklenburgischen Seenplatte, dem Land der 1000 Seen», wie es in der Werbung heisst, findet sich auch ein Viertel aller Seen Deutschlands. Für Urlauber sind dort die Themen Camping und Hausboot besonders aktuell. Die Seen sind durch natürliche Wasserwege oder durch Kanäle untereinander verbunden. «Stellen Sie sich vor», schwärmt Tobias Woitendorf: «Wer die nötige Zeit und Musse mitbringt, kann tatsächlich von Berlin quer durch Mecklenburg bis nach Hamburg im Boot fahren.»

Ein Drittel des Bundeslandes sind geschützte Landschaften; das prädestiniere MV für nachhaltigen Tourismus. Deshalb sollen auch die Kapazitäten nicht mehr erhöht werden, sagt Woitendorf: «Wir haben wohl eine Limite erreicht. Deshalb fördern wir den Ausbau der Bettenkapazität nicht mehr.»

Während sich viele Pensionierte in MV niederlassen, bleibt der Städtetourismus ein Stiefkind. «Er ist schwierig, denn in unseren Städten gibt es – ausser in bescheidenem Rahmen in Rostock – keinen MICE-Bereich», sagt Tobias Woitendorf. Immerhin «gehört der Besuch dieser Städte ins Programm jedes Urlaubers. Auch wenn man Strandferien macht, geht man mal in die Stadt zum Shopping, ins Museum oder zu einem Restaurantbesuch.»