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Kiew wäre ein lohnendes Städtereiseziel - doch aktuell zieht es wohl niemanden in die ukrainische Hauptstadt. Bild: AdobeStock

Ukraine: Eine Krise, die sich der Tourismus gerade nicht leisten kann

Das Riesenland im Osten Europas ist zum Spielball der globalen Machtpolitik geworden. Das hat, insbesondere falls der Konflikt zu einem bewaffneten Konflikt eskaliert, Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Tourismus.

Seit Wochen dominiert die Ukraine-Krise die Nachrichten. Vereinfacht gesagt geht es darum, dass sich die Ukraine gerne der EU annähern möchte, Russland dies jedoch als einen Eingriff in die eigene Interessenssphäre deutet und angekündigt hat, allenfalls in der Ukraine einzumarschieren, falls sich diese komplett auf die Seite des «Westens» schlagen will.

Die Frage ist nun natürlich, was dies für die Tourismusbranche bedeuten wird. Vorerst einmal recht wenig: In die Ukraine reisen aktuell nur sehr wenige Leute. Eigentlich war das Riesenland im Osten Europas einmal als kommendes Trendziel betitelt worden und konnte seine Städte - Kiew, Lwiw, Odessa und weitere - auch gut in Szene setzen. Doch das Einsetzen der Ukraine-Krise 2014, als Russland die Krim besetzte, stoppte den touristischen Aufschwung des Landes jäh; in der Folge wurden gar Reisen auf die Krim, welche Osteuropa-Spezialist Kira Reisen aufgelegt hatte, vom SECO untersagt. Iana Slabinska, eine Kollegin und Journalistin beim ukrainischen Reisefachmagazin UTG aus Kiew, erklärt gegenüber Travelnews: «Eigentlich geht es unserem Outgoing-Tourismus immer noch gut. Die Ukrainer reisen weiterhin, in die Türkei, nach Zypern und in andere Ziele. Doch der Incoming-Tourismus ist praktisch tot. Bereits nach 2014 passierte nicht mehr viel, und just jetzt, wo wir wieder verstärkt Leute im Land empfangen wollten, ist die Situation wieder eskaliert.» Im Land sei man sehr besorgt über die Lage - aber mehr als abwarten könne man als Normalbürger eigentlich nicht.

Die Zahlen zeigen, dass die Ukraine bei Touristen eher unbeliebt ist: Im Jahr 2018 beispielsweise wurden nur gerade 14,2 Millionen internationale Touristen gezählt; diese Zahl ist in den Pandemiejahren sicher nicht gewachsen. Der Tourismus erwirtschaftete damals gerade mal 5,6% des ukrainischen BIP. Dies liegt weit unter dem europäischen Durchschnitt von 9,9% bzw. dem EU-Durchschnitt von 10,2%.

Natürlich wird aber noch nach Kiew gereist, zumindest tun dies noch Geschäftsleute. Swiss fliegt auch weiterhin nach Kiew. Doch die Situation hat auch schon zu Änderungen geführt. Swiss-Sprecherin Karin Müller erklärt gegenüber Travelnews: «Aufgrund der derzeit angespannten Lage haben wir als Vorsichtsmassnahme den Flugplan nach Kiew angepasst. Seit dem 22. Januar bis vorerst Ende Februar übernachten keine Besatzungen mehr in der ukrainischen Hauptstadt.» Zu möglichen Szenarien, sollte es zum bewaffneten Konflikt kommen, möchte Swiss momentan keine Statements abgeben: «Klar ist, dass wir die Lage sehr genau beobachten und auf Veränderungen vorbereitet sind», so Müller.

Kommt es soweit, müsste der ukrainische Luftraum wohl weiträumig umflogen werden. Schaut man sich auf Flightradar um, sieht man aber, dass der ukrainische Luftraum schon jetzt vergleichsweise dünn «besetzt» ist und Flüge in die Golfregion oder nach Südasien in der Regel nicht dort durch führen.

Wirtschaftliche Folgen für die ganze Welt

In der Reisebranche ist dieser potenzielle Konflikt denn auch noch kein grosses Thema, weil er eben, ausser bei einigen Spezialisten, kaum wirtschaftliche Konsequenzen hat. Doch solche könnten durchaus noch kommen, für die Reisebranche einfach indirekt.

Ein bewaffneter Konflikt würde insbesondere die Energieversorgung in Europa auf eine harte Probe stellen. Denn: Die Durchleitung von russischem Gas durch die Ukraine bis in die Schweiz und weite Teile Europas würde wohl unterbrochen. Das Gros des in der Schweiz verwendeten Erdgases kommt aus Russland. Und: An der Tanksäule merkt der Normalverbraucher schon jetzt, wie die Benzinpreise steigen. Anbieter sprechen von einem «Risikoaufschlag» und der Branchenverband der Treibstoffimporteure geht von einem weiter steigenden Ölpreis aus. Das wiederum wird natürlich auch die Kerosinpreise in die Höhe treiben - höhere Flugkosten könnten die Konsequenz sein.

Die Schweiz hat zwar vergleichsweise wenig Handelsvolumen mit Russland oder auch mit der Ukraine, so dass der direkte negative Effekt gering sein dürfte. Doch bei einem bewaffneten Konflikt wären nebst diversen Industrien eben auch Finanzinstitute betroffen. Das Tourismusgeschäft in die Ukraine würde komplett einbrechen (nicht nur auf der Krim, wohin es seit 2014 eh praktisch keinen internationalen Tourismus mehr gab), derweil es auch für den globalen Tourismus Konsequenzen geben könnte: Russland ist in vielen Ländern einer der wichtigsten touristischen Quellmärkte. Eigentlich müssten wir alle - auch die Tourismusbranche - hoffen, dass der Konflikt auf diplomatischem Weg beigelegt werden kann. Eine weitere grosse Krise kann sich der Tourismus aktuell nicht leisten.

(JCR)