Destinationen
«Tourismus ist viel mehr als Sand, Strand und Sonne»
Gregor WaserHerr Uygun, wie beurteilen Sie die bisherige touristische Sommersaison für die Türkei?
Emre Uygun: Als sehr erfreulich. Nach der Durststrecke im letzten Jahr sind die Buchungszahlen hoch. Was ich von den Reiseveranstaltern und Reisebüros höre, sind sie mit den Reservierungszahlen für den Sommer sehr zufrieden. Und die Vorzeichen für den Herbst stehen auch gut, schliesslich lassen sich in der Türkei fast das ganze Jahr Ferien verbringen.
Wie entwickeln sich die Touristenzahlen seit 2019?
2019 verzeichneten wir fast 52 Millionen Gäste und einen Umsatz von 34,5 Milliarden USD. Aufgrund der Pandemie waren es im letzten Jahr leider nur 16 Millionen Gäste. Nun in diesem Jahr sind rund 25 Millionen Gäste anvisiert, wir erwarten also nahezu eine Verdoppelung der Gästezahl in diesem Jahr. Die Menschen wollen wieder reisen nach einem sehr stark eingeschränkten Jahr.
Wie sieht die Entwicklung in der Schweiz aus?
Die gleiche Kurve sehen wir auch in der Schweiz. Nach knapp 320'000 Schweizer Gästen im Jahr 2019 waren es im letzten Jahr rund 130'000. Nun hoffen wir in diesem Jahr auf mindestens 200'000 Schweizerinnen und Schweizer. Und die Zahl würden wir sehr gerne künftig anheben. Schweizer sind reisefreudig und auch bereit, ein zweites oder drittes Mal pro Jahr zu verreisen. Die Schweiz ist ein sehr wichtiger Tourismusmarkt für die Türkei.
«Tourismus trägt zum Dialog und Verständnis zwischen den Ländern und den Menschen bei.»
Wie hat die türkische Tourismusindustrie rückblickend auf die Pandemiesituation reagiert?
Die Türkei war eines der ersten Länder, das ein Gesundheitszertifikat herausgebracht hat, um sicheres Reisen zu ermöglichen. Hotels mit über 30 Betten mussten sich dieses Zertifikat ausstellen lassen und haben hierzu zahlreiche Massnahmen umsetzen müssen. Das Zertifkat wird von zahlreichen nationalen wie internationalen Kontrolleuren überprüft, so etwa durch den TüV (Technischer Überwachungsverein Deutschlands). Das Zertifikat war sicher ein wichtiger Schritt für unsere Tourismusindustrie. Und mittlerweile ist auch ein Grossteil des touristischen Personals geimpft. Dies hat dazu beigetragen, dass unsere Gäste sichere Ferien in der Türkei verbringen können.
Vor knapp zwei Jahren zügelte das Kultur- und Tourismusbüro von der Stockerstrasse ins Generalkonsulat an der Weinbergstrasse 65 in Zürich und wird von Aygen Senem Arslan geleitet. Was hat sich mit diesem Schritt geändert?
Von der Aufgabenstellung ändert sich nichts. Dazu gehören Anfragen zu den Themen Tourismus und Kultur zu beantworten, Türkeipromotion zu machen und im Kontakt mit Partnern aus der Reisbranche zu stehen. Der Vorteil nun ist, viel schneller koordinieren zu können. Geht es etwa um Messen oder grössere Incentivereisen, können wir diese Anfragen intern viel schneller besprechen und beantworten.
Wie muss man sich den Job eines Generalkonsuls vorstellen? Welchen Anteil nimmt da der Bereich Tourismus ein?
Ich möchte vorausschicken, dass Tourismus bei uns in der Familie schon immer eine grosse Rolle gespielt hat. Mein Vater arbeitete über 30 Jahre lang im Tourismusministerium. Tourismus spielt in meinem Job eine wichtige Rolle, insbesondere auch darum, weil Tourismus zum gegenseitigen Verständnis zwischen Türken und Schweizern beiträgt. Tourismus ist ja viel mehr als nur Sand, Strand und Sonne. Kulturell, sprachlich, kulinarisch, vieles spielt da rein. Somit wird Tourismus automatisch zu einem sehr wichtigen Teil, ein Bereich, den ich sehr gerne mag und weiter promoten möchte, um auch zum Dialog und Verständnis zwischen den Ländern und den Menschen beizutragen.
Mehr als Sand, Strand, Sonne… Mit welchem touristischen Angebot möchte die Türkei künftig punkten?
Es gab schon vor dreissig Jahren Kulturreisen – aber noch als Nische. Mittlerweile haben sich weitere Felder geöffnet: Städtereisen, Gastrotourismus, Sportreisen – ich denke da etwa an Golfreisen oder Fussball-Camps –, Winterferien, Gesundheitstourismus, Schiffsreisen, die gesamte Palette. Und bei Kulturreisen sprechen wir ja nicht nur davon, Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, diese Sparte hat auch viel mit Musik und Kunst zu tun. Aber klar, Strandferien wird es immer geben, wir müssen schliesslich auch noch ein bisschen Vitamin D tanken (lacht). Wir möchten alle vier Jahreszeiten abdecken, entsprechend viel wurde darum auch in die Infrastruktur investiert, dies auch in den kommenden Jahren.
«Orthopädische Eingriffe, Zahnmedizin, Ästhetik, Thermalurlaub – wir sind da gut aufgestellt.»
Sie haben Gesundheitstourismus erwähnt, ein breites Feld. In welchen Bereichen sehen Sie da die Türkei gut aufgestellt?
Wir haben in den letzten 12 bis 15 Jahren die Infrastruktur stark ausgebaut und sehr gutes Fachpersonal ausgebildet in jeglichen Bereichen, dies hat sich nun auch in der Covid-Zeit stark ausbezahlt, weil wir sehr schnell mit den gesamten Kapazitäten darauf reagieren konnten. Gesundheitstourismus kann sich über zahlreiche Bereiche erstrecken, etwa um orthopädische Eingriffe hin zu Ästhetik, Thermalurlaub, wir sind gut aufgestellt in der Zahnmedizin und bei Augen-Operationen. Gesundheitstourismus gilt es dann aber je nach Herkunftsland unserer Gäste zu betrachten, da sind die Bedürfnisse sehr unterschiedlich, ob es um Eingriffe mit Krankenhausaufenthalt geht oder ob eher stationäre Eingriffe gewünscht sind. Das Potenzial für Gesundheitstourismus erachten wir jedenfalls als sehr gross.
Wie die gesamte Mittelmeerregion hat auch die Türkei jüngst unter starken Waldbränden gelitten. Nahm neben der Natur auch die
touristische Infrastruktur Schaden?
Alle relevanten türkischen Ministerien und Behörden haben alles in ihrer Macht stehende getan, um die Brände zu bekämpfen. Mittlerweile sind die Brände weitestgehend unter Kontrolle. Die touristische Infrastruktur, so viel wir bisher wissen, hat keinen Schaden erlitten. Für das gesamte Land sind die Brände aber sehr traurig. Eindrücklich war die Solidarität und die Hilfe aus dem ganzen Land für die betroffenen Gebiete.
Und welches ist eines Ihrer Hauptanliegen während Ihrer Amtszeit in der Schweiz?
Ich werde mich dafür einsetzen, dass künftig noch mehr Schweizer in die Türkei reisen. Das bringt auch die beiden Länder näher zusammen und fördert das Verständnis füreinander. Und wenn ich meinen Job nicht mitten in der Pandemie angetreten hätte, hätten wir schon zahlreiche kulturelle Veranstaltungen durchgeführt – ich hoffe sehr, dies in den nächsten Monaten nachholen zu können.