Destinationen

Hat schwierige 17 Monate hinter sich: Ischgls Tourismusdirektor Andreas Steibl. Bild: HO

«Doch dann wurde Ischgl auf einmal der Prügelknabe»

Gregor Waser

Andreas Steibl, Geschäftsführer des Tourismusverbands Paznaun-Ischgl, sagt im Interview, wie er das mediale Bashing erlebt hat und wie Ischgl aus der Coronakrise findet.

Herr Steibl, wie haben Sie den Frühling 2020 erlebt, als Ischgl in der heftigen medialen Kritik stand als Corona-Hotspot?

Andreas Steibl: Es war natürlich eine herausfordernde Zeit, weil sie auch in dieser Art einzigartig war. Wir hatten keine Erfahrungswerte und keinen Vergleich zu dem, was mit uns passierte. Zu Beginn der weltweiten Pandemie gehörten wir zu jenen, die ganz stark als erster betroffen waren. Gefühlt waren jene Wochen wie ein Naturkatastrophe. Man muss bedenken, dass wir ja Touristiker und hingebungsvolle Gastgeber sind, aber keine Virologen. Gleichzeitig hatten auch die Experten keine Erfahrungswerte für eine solche Situation und lernten täglich dazu.

Was machte Ihnen besonders zu schaffen?

Durch den Lockdown und die Quarantäne war für uns die Saison beendet. Wir standen in einer Schockstarre. Stets gehörte Ischgl zu den erfolgreichsten österreichischen Destinationen und wir standen mit Erfolgen im medialen Fokus. Wir, die innovative, polarisierende, kreative Destination – von den Medien hoch angesehen und stets in die Höhe gejubelt. Doch dann wurden wir auf einmal der Prügelknabe. Hier betraten wir völliges Neuland. Ich musste mich dann selbst neu sortieren, vieles dazulernen und mich auch coachen lassen, um mental gut vorbereitet zu sein.

Wie hat die Bevölkerung jene Wochen erlebt?

Die weltweite Gesundheitskrise hat eine für unsere Generation bisher unbekannte Dimension erreicht. Die Einheimischen mussten in dieser Zeit ein regelrechtes Ischgl-Bashing über sich ergehen lassen. Es war eine traurige Zeit. Auch wir – die Einheimischen – wussten nicht, warum wir nun die Schuldigen waren und am Pranger standen. Denn wir waren von den Ereignissen ebenso gezeichnet. Viele Freunde, Arbeitskollegen und Familienmitglieder erkrankten an diesem Virus und wir haben dieses Virus nicht erfunden. Wir sind ein Ort mit 47 Nationen und wissen jetzt nach eineinhalb Jahren viel mehr als zuvor. Zu Beginn der Pandemie sind wir jedenfalls wirklich total alleine gestanden. Für die Betriebe, deren Leute alles Touristiker sind, war es eine tragische Situation, so im Mittelpunkt gestanden zu sein.

Ihre Einstellung zu den Medien hat sich verändert?

Wir mussten schon eine schnelle Vorverurteilung feststellen. An vielen Stellen wurden Inhalte ohne Überprüfung übernommen. Das war nicht fair. Vorwürfe und Vorverurteilungen haben sich dann ein dreiviertel Jahr später bei einer unabhängigen Kommission als falsch erwiesen. Doch am erfolgten Bashing konnten wir nichts mehr ändern. Wenn wir aus dieser Krise etwas lernen können, dann ist es die Einsicht, dass wir nicht mit Fingern aufeinander zeigen oder permanent Schuldzuweisungen vornehmen, sondern im Gegenteil den Zusammenhalt leben sollten, um diese Krise gemeinsam zu meistern.

«Wir blicken auf eine langjährige Erfolgsgeschichte bis März 2020 zurück, bevor wir zugesperrt haben.»

Wie beurteilen Sie den Schaden, den Ischgl als Marke erlitten hat?

Ischgl konnte vor Covid auf 75 Prozent Stammgäste zählen – wobei ich die nicht Stammgäste nenne, sondern Fans, die sich mit der Marke Ischgl identifizieren, ähnlich wie in der Konsumgüterbranche mit einem Lifestyle-Produkt. Das ist ein grosser Vorteil für uns, denn diese Gäste halten an der Marke fest. Einen Schaden sehe ich jedenfalls nicht, was wir auch aus Befragungen heraus sehen. Natürlich ist das vergangene Jahr nicht erfreulich, aber wir können auf eine starke Marke zählen.

Dann ist alles wie vorher?

Wir haben eine Verantwortung, die Strahlkraft der Marke beizubehalten. Da werden wir nun mit der ein oder anderen qualitativen Anpassungen auch vornehmen. Dass wir im letzten Winter keinen einzigen Betriebstag hatten, um keine weiteren Ansteckungen zu riskieren – als eine der wenigen Destinationen –, war sicherlich ein positives Signal nach aussen, wenngleich dies wirtschaftlich und mental für jeden Touristiker sehr schwierig war. Die Wahrnehmung, dass Ischgl nicht nur aus der Vergangenheit gelernt hat, sondern dies auch zeigte, ist positiv aufgenommen worden.

Wir schauen die qualitativen Anpassungen aus?

Der Blick in den Rückspiegel ist vorbei. Eine Verbesserungsmassnahme, die wir schon vergangenen Winter eingeleitet haben – aber aufgrund des eingestellten Betriebs noch gar nicht zur Anwendung kam –, ist ein Alkoholverbot an öffentlichen Plätzen, neben dem bereits zuvor eingeführten Skischuhverbot nach 20 Uhr, um die Ausrutsch- und Verletzungsgefahr in der Fussgängerzone zu verhindern. Eine Neuausrichtung der Marke Ischgl ist aber nicht notwendig. Wir blicken auf eine langjährige Erfolgsgeschichte bis März 2020 zurück, bevor wir zugesperrt haben. Wir müssen uns nicht neu erfinden, aber das eine oder andere wissen wir, dass wir es noch besser machen können. Für österreichische Verhältnisse sind wir ein ziemlich hochpreisiges Produkt, daran halten wir fest. Und dabei müssen wir auch das Qualitätsversprechen einhalten.

«Populäre Destinationen sind schnell wieder auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt.»

Was ist rückblickend das Learning nach dieser Krise – ein Learning, das auch für andere Destinationen gelten könnte?

Wir haben im Tourismus ja schon viele Krisen erlebt, ob Tsunami oder 9/11. Und dabei gesehen: populäre Destinationen sind schnell wieder auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt. Ein Krisenmanagement ist für jede Destination und jedes Tourismusunternehmen essentiell. Doch jede Krise ist anders. Es gibt keine kollektive Vorbereitung und auch die Lösungsansätze sind sehr individuell. Flexibilität ist das einzige, was bei allen Krisen gefordert ist und die hoch sein muss. Die Pandemie hat gezeigt, dass auch wirklich erprobte Krisenmanager keine Blaupause zur Krisenbewältigung hatten, da diese Krise in dieser Form eben einzigartig und neu war und ist.

Und wie läuft die Sommersaison in Ischgl?

Wir verspüren im Vergleich zum letzten Sommer eine leicht erhöhte Nachfrage, aber es ist aktuell noch zu früh eine Gesamtbilanz für die Sommersaison zu ziehen. Seriöse Prognosen sind aufgrund der allgemein volatilen Lage im internationalen Reiseverkehr schwierig zu treffen, aber wir bleiben für den weiteren Verlauf dieses Sommers jedenfalls vorsichtig optimistisch.

Wer reist zu Ihnen?

Natürlich fehlen internationale Gäste bzw. Gäste aus Übersee, gleichzeitig sind aber die Nahmärkte stärker und etwa die Nachfrage bei österreichischen und deutschen Gäste gut. Wir merken auch, dass Wandern und die Erholung in der Natur bei jüngeren Gästen hoch im Kurs steht. So kommen die Möglichkeiten für Bewegung in der frischen Luft und unsere gewaltige Paznauner Bergkulisse bei unseren Gästen gut an. Diese Sehnsüchte haben sich in den Covid-Monaten noch weiter verstärkt.

Wird dieser verstärkte Wunsch nach Natur anhalten?

Ich sehe das als Chance – genauso für Schweizer Destinationen – mit dem Erlebnis Natur künftig weiterhin einen erweiterten Gästekreis anzusprechen. Denn wie bereits gesagt, liegt die Bewegung in der Natur im Trend und wir bieten mit unserem Angebot hierfür einen idealen Resonanzboden. Wir müssen aber selbstverständlich unser Angebot auch in Zukunft laufend weiterentwickeln, um gegen die Beach-Destinationen reüssieren zu können. Das Erlebnis muss gleichwertig sein wie an einer Sun&Beach-Destination, hier denke ich etwa an Restaurant-Öffnungszeiten, die beispielsweise über Mitternacht hinausgehen. Es darf nicht nur beim «geborgten Gast» während der Corona Zeit für uns Alpinen Destinationen bleiben.