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Behörden tun sich mit dem, was Reisende sollen oder dürfen, oft noch schwer - weil Reisende sich auch mit grundlegenden Corona-Verhaltensregeln schwer tun. Bild: Luis Villasmil

Kommentar Spitalbelastung statt Infektionszahlen als Richtwert

Jean-Claude Raemy

Die Infektionszahlen steigen überall wieder an. Das allein sollte aber für Ferienländer kein Grund sein, dieselben «Abschottungs-Reaktionen» an den Tag zu legen wie noch im Vorjahr.

Die Infektions-Zahlen steigen in diversen europäischen Ländern wieder rasant an. Ferien-Favorit Spanien wie auch Portugal und Zypern sind laut den neusten Zahlen des ECDC (European Centre for Disease Prevention & Control) am meisten betroffen, und auch die Zahlen in Griechenland steigen klar an. Das hat dazu geführt, dass in diesen Ländern gewisse Massnahmen bereits wieder verschärft wurden bzw. werden. Auch die Zahlen in der Schweiz steigen wieder. Dabei besonders unerfreulich: Über die Hälfte der Corona-Neuinfektionen sind mittlerweile auf Reiserückkehrer zurückzuführen. Das zeigen Zahlen aus dem Kanton Zürich, wie die «NZZ» berichtet. Vor einer Woche schrieb Travelnews noch von wenig Infektionen bei Reise-Rückkehrern - wie schnell sich die Situation, einmal mehr, doch ändern kann.

Doch wer sind die Infizierten? Aktuell wird mit dem Finger vor allem auf jüngere Semester gezeigt. Ein sehr hoher Anteil der Ansteckungen im Ferienland erfolgt dort nämlich offenbar in Clubs/Bars, oder genereller gesprochen, infolge des sorglosen Umgangs mit Corona-Massnahmen. In Mallorca wird inzwischen die Polizeipräsenz hochgefahren, um nächtliche «Botellons» von Tausenden von Jugendlichen, die meisten davon Touristen, zu unterbinden, wie «Ultima Hora» schreibt. In den Niederlanden wurden die Clubs zwei Wochen nach der Wiedereröffnung bereits wieder geschlossen. In mehreren Zeitungen aus unterschiedlichen Ländern (auch ausserhalb Europas) liest man, dass es vor allem «Jüngere (oder) Ungeimpfte» sind, welche nun einen immer höheren Anteil der Infektionen ausmachen.

Aussagen wie «sollen sich doch alle Ungeimpften nun einfach anstecken» helfen nun aber nicht weiter. Der wirksamste Schutz ist weiterhin, sich an die Grundregeln (Händewaschen, Maske, Social Distancing) zu halten - und das gilt auch für bereits vollständig Geimpfte. Man muss auch aufpassen, dass der gesellschaftliche Graben nicht zu weit auseinanderklafft. Die 8. Corona-Umfrage der SRG hat den «Impf-Graben» deutlich aufgezeigt, aber auch deutlich gemacht, dass in der Schweiz wohl nicht viel mehr in Sachen Impfung herauszuholen ist. Rund ein Drittel der Bevölkerung wird sich wohl nicht impfen lassen bzw. will «abwarten»; auch in letzterer Kategorie sind viele Junge zu finden. Vielleicht gehören die Impfverweigerer wenigstens bald zu den «Genesenen»... Jedoch wird vorerst der «Impf-Erfolg», der die Covid-Infektionszahlen in der Schweiz und anderswo in den letzten Monaten deutlich sinken liess, wohl erst einmal wieder tendenziell steigenden Infektionszahlen weichen, wegen hochansteckender neuer Varianten wie eben auch einer gewissen Sorglosigkeit.

Die Ampelsysteme sind Statistik

Doch muss man jetzt den «Panic Button» drücken? Die Reaktionen sind, wie so oft, unterschiedlich. Malta, in Sachen Neuinfektionen eigentlich gar nicht schwer betroffen, hat inzwischen als erstes EU-Land erklärt, nur noch Geimpfte hereinlassen zu wollen. Ein Beispiel, das Schule machen könnte. Die Ampelsysteme in vielen Ländern verändern sich jedenfalls jetzt wieder relativ schnell, was wieder Verunsicherung schafft  - eine Verunsicherung, welche aufgrund der hohen Impfraten überwunden schien (oder man hoffte dies zumindest). Deshalb greifen inzwischen immer mehr Privatunternehmen dazu, Covid-Impfungen vorauszusetzen - neustes Beispiel: Der deutsche Reiseveranstalter Alltours, welcher ab Oktober nur noch geimpfte Personen in die eigenen Hotels lässt. Ein Impfzwang auf Staatsebene lässt sich wegen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht durchsetzen, aber es steht jedem Unternehmen und jedem Land frei, Impfungen für gewisse Tätigkeiten vorauszusetzen. Das war ja bisher auch schon so. So wird keine böswillige «Zweiklassengesellschaft» gemacht, sondern die Gesundheit (im Ermessen der Anbieter) geschützt.

Wobei natürlich noch die Frage im Raum ist: Wird immer noch überreagiert? Sagen die Ampelsysteme wirklich etwas aus zu einer effektiven Notsituation? Wohl kaum: Die reinen Infektionszahlen sagen wenig aus. Sämtliche Risikogruppen, d.h. Ältere und Personen mit Vorerkrankungen, weisen inzwischen sehr hohe Impfraten aus, und auch in der breiten Bevölkerung sind vielerorts bereits hohe Impfraten erreicht. Diese Personen sind also weitgehend geschützt. Dazu weiss man, dass Geimpfte nicht nur sich selbst schützen, sondern auch das Virus sehr viel seltener übertragen. Und bei den Neuinfizierten zeigt sich nun: Sehr viele der infizierten Jungen zeigen wenige bis gar keine Krankheitssymptome. Die Covid-Sterberate verharrt auf einem tiefen Niveau und man hört kaum etwas von überlasteten Gesundheits-Einrichtungen. Die Gretchenfrage: Wie weit soll man noch gehen, um die Bevölkerung zu schützen? Vor allem, wenn viele den Schutz gar nicht wollen?

Es scheint so, dass bei ein paar Ferienländern ein Sinneswandel stattgefunden hat: Trotz hochschnellender Infektionszahlen wurden auf den spanischen Inseln oder auch in Grossbritannien die höchsten Restriktions-Niveaus nicht wieder aktiviert. Das heisst, das Restriktions-Niveau dürfte sich künftig an der Belastung des Gesundheitswesens orientieren und nicht ausschliesslich an der Anzahl Infektionen, welche in Bezug auf das «gesellschaftliche Problem Covid» wenig aussagen. Sprich: Man nähert sich schrittweise dem «Leben mit Covid» an und nimmt hohe Infektionszahlen solange hin, wie diese nicht ein grundlegendes Problem für gesundheitliche Infrastrukturen darstellen.

Für die Reisebranche gilt es derweil weiterhin, nervöse Reisewillige zu beruhigen, während die Medien ihre Ressourcen gerne auch mal darauf fokussieren dürften, was alles gut und problemlos läuft in den Zielländern. Denn zahlreiche Reisende konnten tatsächlich mehr oder weniger unbeschwerte Ferien verbringen, und dies ohne Corona heimzubringen. Diese dürften soweit erholt sein, dass sie wenig beitragen, die angesprochenen gesellschaftlichen Gräben auszuweiten. Es braucht weiterhin einen Effort von allen Seiten, um die Situation in den Griff zu bekommen.