Destinationen

Gefährlicher Garten statt gefährliche Reisen: das Hämmern und Befestigen eines neuen Dachs trug Bürolist Gregor Waser einen Tennisarm ein. Bild: Adobe Stock

Mein 2020 Die Reise in den Schrebergarten

Gregor Waser

Statt Flughafen Hamburg oder Brindisi lautete diesen Sommer die neue Realität: Bohnen oder Blumenkohl.

Ein Leben ohne zu reisen? Unvorstellbar. Ob damals auf dem Rücksitz an den französischen Atlantik, in der Reisebüro-Lehre zur Hotelbesichtigung nach Mallorca, auf Weltreise rundherum, als Journalist an Messen in Surabaya oder Chicago, zu Freunden nach Australien oder zum Fussball-Match ins Mailänder San Siro. Reisen ist atmen. Und dann kam Corona und die diesjährigen Reisepläne waren vom Tisch. Keine ITB, keine Reise ans Wattenmeer, kein Apulien-Trip.

Im Kurzarbeitsmodus schreiben bis am Mittag war im April-Mai-Lockdown und den folgenden Monaten angesagt. Freie Nachmittage lagen da wie Sand am Meer. Da fiel plötzlich ein neues Hobby vom Himmel. Ein Anruf des Schrebergarten-Chefs: auf einer langen Warteliste Lockdown-gelangweilter Zürcher, die sich um eine Parzelle eines städtischen Schrebergartens bewarben, fiel der Zuschlag auf uns. 180 Quadratmeter Erdreich und ein zerfallenes Häuschen galt es fortan zu hätscheln. Das mehrstündige Hämmern und Befestigen eines neuen Dachs trug mir Bürolist einen Tennisarm ein. Das Wühlen in der Erde, das Hacken, Säen, Schneiden, Ernten, Grillieren, Plaudern im Garten prägte den heissen Sommer – und liess das Krisenjahr und die verpassten Reisen in den Hintergrund rücken, den Verlust eines sehr lieben Menschen bewältigen.

Einen Sommer im Garten zu geniessen statt an der Playa ist wohl für Vielbereiste einfacher. Alleine schon von den Erinnerungen an viele tolle Reisen lässt sich zehren. Das Leiden meiner im Homeoffice festsitzenden Arbeitskolleginnen, beide Mitte 20, verstehe ich aber nur allzu gut. Die fehlende Option, Koffer zu packen und aufzubrechen, ist auf Dauer wirklich unerträglich.

Langsam wird sie zurückkehren, die Normalität. Und das Kofferpacken. Die Reisewünsche werden bei vielen Leute umso ausgeprägter und intensiver ausfallen - hoffe ich. Jene Reisebüros und Tourismusplayer, welche die Durststrecke bis Mitte 2021 überleben, dürften vor einem starken Comeback stehen. Dass der Reisetrend weg von den pulsierenden Ramblas Barcelonas und Firenzes lautem Ponte Vecchio in Richtung verlassenem Hinterland und eindrücklichen Naturerlebnissen zielt, ist gut möglich und wünschenswert.

Keine Fake News

Ich staunte über die grossen Blumenkohl-Blätter, drehte mich zu den Tomaten um, die keinen guten Eindruck machten und fragte mich: wird die Natur weiterhin intakt sein? Denn dieses Jahr zeigte auch: die Welt geht den Bach runter. Australien brennt. Der Amazonas brennt. Die Arktis schmilzt. Und die Staatschefs, ob Bolsonaro in Brasilien, Trump in den USA oder Morrison in Australien, scheren sich einen Deut um den Zerfall des Planeten.

Wünschte mir, dass die ignoranten Leader der Welt das Buch «Die Triple-Krise» von Josef Settele lesen würden. Das ist kein Verschwörungstheoretiker, sondern ein Biologe und «Umweltweiser» der Bundesregierung Deutschlands. Seine Konklusion: Artenrückgang, Klimawandel und steigende Gefahr von Pandemien befeuern sich gegenseitig. Je mehr der Mensch in die unberührte Natur vordringt und sie ausschlachtet, desto mehr Virenkrankheiten springen auf ihn über. Nach Abholzungen und Brandrodungen in Asien oder dem Amazonas sowie Feuersbrünsten wie 2020 in Australien, Sibirien und dem Westen der USA verringert sich der Lebensraum für Tiere. Erhöht sich die Dichte einer bestimmten Tierart, kann es leichter zu einer Übertragung von Viren und damit höheren Infektionsraten untereinander kommen.

Trump sagt dazu: Fake News. Bolsonaro labert von Grippchen. Morrison nickt seinen Kumpels in der Kohleindustrie zu, macht weiter.

So endet «Mein 2020» nicht nur mit produktiven Morgenschichten für Travelnews, dem Erstaunen wie gut unser Team auch dezentral funktioniert, inspirierenden Nachmittagsstunden im Garten sondern auch mit Sorgen um den Zustand der Natur und des Planeten. Bin fertig.