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DZT-CEO Petra Hedorfer rechnet damit, dass die Recovery-Phase mindestens bis zum Ende des Jahres 2023 dauern wird. Bild: DZT / Farideh Diehl

«Die Pandemie beschleunigt viele Veränderungsprozesse»

Petra Hedorfer, CEO der Deutschen Zentrale für Tourismus, bewertet die aktuelle Tourismussituation und äussert sich zur Zukunft des Reiselandes Deutschland.

Frau Hedorfer, die Reisewirtschaft liegt am Boden. Wie blicken Sie in die Tourismuszukunft?

Petra Hedorfer: Die Einschätzungen für den weltweiten Tourismus sind tatsächlich dramatisch. Die Welttourismusorganisation UNWTO prognostiziert einen Rückgang der internationalen Ankünfte in diesem Jahr zwischen 60 und 80 Prozent. Deutschland hat die Krise in der internationalen Wahrnehmung zwar vergleichsweise gut gemanagt. Aber der Incoming-Tourismus ist ja nicht nur von der Lage bei uns im Land abhängig, sondern auch von den Quellmärkten. Auch wenn die Markteinführung der Impfstoffe erfolgreich ist, können sich die Reiseströme nur langsam wieder normalisieren. Kapazitäten bei Airlines und Hotelgesellschaften müssen schrittweise wiederaufgebaut werden.

Dazu kommt, dass wir keinen linearen Erholungsprozess erwarten können. Wir haben ja auch im Sommer 2020 schon ein deutliches Abklingen der Infektionszahlen erlebt und mussten im Herbst einen ebenso starken Rückschlag verzeichnen, der unterdessen viele Länder Europas trifft. Wir sollten uns aus meiner Sicht auf eine längere Phase im Recovery-Prozess einstellen. Konkret heisst das: Nach den jüngsten Analysen der Experten von Tourism Economics wird die Recovery-Phase mindestens bis zum Ende des Jahres 2023 dauern. Reisen aus Europa nach Deutschland erholen sich schneller als aus unseren Überseemärkten, Freizeitreisen eher als das Geschäftsreisesegment.

Woraus schöpfen Sie in dieser schwierigen Situation Optimismus?

Dafür gibt es viele gute Gründe. Der wichtigste: Millionen Menschen warten darauf, wieder unbeschwert reisen zu können, andere Länder zu entdecken, Kulturen zu erleben, erfolgreiche Geschäftsreisen zu unternehmen und sich bei persönlichen Begegnungen austauschen zu können. Studien des Marktforschungsinstituts IPK International belegen zudem, dass schon im Laufe des Pandemie-Jahres generell in vielen Ländern die Bereitschaft deutlich gestiegen ist, wieder Auslandsreisen zu unternehmen. Dazu kommen Gründe, die speziell für Deutschland als Reiseziel sprechen. Bei der Auswahl des Reiseziels spielt Sicherheit eine ganz grosse Rolle. Internationale Umfragen haben gezeigt, dass Deutschland unter dem Aspekt Corona-Infektionsgefahr als sicherstes Reiseziel weltweit eingestuft wird.

Was können Sie als National Tourist Board dafür tun, den Tourismus in Corona-Zeiten wieder anzukurbeln?

Zunächst einmal analysieren wir Märkte und Marktsegmente sehr genau unter dem Aspekt, welche Recovery-Chancen dort bestehen. Dort setzen wir die Schwerpunkte unserer Marketingaktivitäten. Das führt direkt zum zweiten Handlungsschwerpunkt: Customer Centricity – den Kunden von morgen im Blick haben. Wir registrieren nicht nur ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis der Reisenden, sondern auch ein erhöhtes Interesse an nachhaltigem Tourismus. Wir nutzen dieses Themensetting zur Profilschärfung unserer Marke. Das dritte Handlungsfeld ist Digital Empowerment - mit innovativem Marketing Wettbewerbsvorteile sichern. Im neuen Wettbewerb der Destinationen ist Digitalisierung Trumpf. Und wir setzen gemeinsam mit unseren Partnern auf digitale Lösungen – von Chatbots, die User-Anfragen mithilfe von Künstlicher Intelligenz beantworten, den Einsatz von Sprachassistenten bis hin zu einer grossen Open Data- Lösung für die deutsche Tourismusindustrie.

«Wir setzen darauf, dass das Oktoberfest oder die Weihnachtsmärkte 2021 wieder im bekannten Umfang stattfinden können.»

Gibt es infolge der Corona-Pandemie neue Trends bei den Reisenden, die sich auf das Reiseland Deutschland auswirken?

Das Kundenverhalten ändert sich kontinuierlich unabhängig von Corona. Die Pandemie beschleunigt aber viele Veränderungsprozesse. Durch Covid 19 entfaltet beispielsweise das Interesse an Nachhaltigkeit eine neue Dynamik. Fast 80 Prozent der Auslandsreisenden aus unseren wichtigsten Quellmärkten können sich vorstellen, dass die Corona Pandemie zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus führen wird. 55 Prozent der Befragten erklärten in der jüngsten Covid-19-Studie mit IPK International, dass naturorientierter Urlaub für sie generell in Frage käme, weitere 21 Prozent bezogen ihre Zustimmung ausdrücklich auf die Corona-Zeit.

Ist Deutschland auf diese veränderte Nachfrage vorbereitet?

Absolut. Nachhaltigkeit ist ein absolutes Kernthema für uns. Wir verfügen über eine intakte Umwelt, für die eine Menge getan wird. Ein Drittel der Fläche Deutschlands steht als Nationale Naturlandschaften unter besonderem Schutz. Dazu zählen
16 Nationalparks, 16 UNESCO-Biosphärenreservate und 104 Naturparke.

Gibt es auch Bereiche, die durch Corona schwächer werden?

Generell sind die Bereiche, in denen Deutschland besonders exponiert war, auch überdurchschnittlich betroffen. Deutschland ist zum Beispiel Kultur- und Städtereiseziel Nummer 1 der Europäer. Aber viele grosse Events, die Impulsgeber für dieses Segment sind, konnten 2020 gar nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden. Zum einen setzen wir darauf, dass Veranstaltungen wie das Oktoberfest oder die Weihnachtsmärkte 2021 wieder im bekannten Umfang stattfinden können. Zum anderen haben die Städte und Kultureinrichtungen sehr viel unternommen, um trotz Corona erlebnisreiche und sichere Ferien in den Metropolregionen zu ermöglichen.

Und wie sieht es bei den Geschäftsreisenden aus? Deutschland ist doch ein grosser Messe- und Tagungsstandort?

Dieses Segment wird auf längere Zeit eine grosse Herausforderung bleiben. Tatsächlich war der Geschäftsreiseanteil am Incoming Deutschlands 2019 mit 23 Prozent im internationalen Vergleich überproportional hoch. Zum einen, weil wir der führende Messestandort weltweit sind, zum anderen wegen der Spitzenposition Deutschlands als Tagungsziel in Europa. Gerade in diesen Bereichen erwarten wir starke Veränderungen. Die Zukunft hier wird sicher stärker von Substituten, wie virtuellen Veranstaltungsformaten und Hybridevents bestimmt.

(TN)