Destinationen

Die Lust, die Welt zu bereisen, ist noch da - wenn man uns doch nur liesse. Bild: AdobeStock

Kommentar Zu viele Regeln verderben die Reiselust

Noch ist die Auswahl bei möglichen Reisezielen recht beschränkt. Während diverse Länder und sogar Grossregionen nun wieder bereist werden können, schotten sich andere wieder ab. Doch die Grenzöffnungen sind nicht mal das entscheidende: Die Situation bleibt solange fragil, als keine internationalen Regeln aufgestellt sind, welche vernünftige Reisetätigkeit erlauben.

Tooor! Jubelgeschrei vor dem Fernseher und im Stadion! Doch Moment mal, nicht zu früh freuen: Im modernen Fussball gibt es seit Kurzem den «V.A.R.», den «Video Assistant Referee». Und dieser hat festgehalten, dass sich der Stürmer 2,5 Millimeter im Offside befand. Das Tor zählt nach dreiminütiger Beratung nicht. Der Jubel war umsonst. Und die Freude am Fussball schmilzt dank dieser eigentlich gut gemeinten Regel wie Butter an der Sonne - weil ein Tor eben möglicherweise doch keins ist.

Dieses Beispiel lässt sich aktuell auf die Reisewelt übertragen: Jedes Mal, wenn ein Land eine Öffnung seiner Grenzen ankündigt, ist der Jubel bei Reisenden und in der Reisebranche gleichermassen gross. Aber halt! Ist die Freude verfrüht? Darf man auch wirklich hinreisen? Ist das Land womöglich auf der Risikoländerliste des Bundesamts für Gesundheit? Ist die Schweiz auf einer ähnlichen Liste des betreffenden Ziellandes? Und kann sich all dies kurz vor oder während der Reise noch ändern?

Diese aufgrund der unterschiedlichen behördlichen Massnahmen entstandene Unsicherheit macht aktuell die Planung von Reisen und insbesondere von Fernreisen fast unmöglich. Wohin darf man überhaupt reisen? Zum Beispiel Tansania, das war so ein vielzitiertes Beispiel in den vergangenen Monaten. Inzwischen scheint Afrika am schnellsten wieder aus den Startlöchern zu kommen. Fast das gesamte Südliche Afrika lässt sich bald wieder bereisen. Das ist erfreulich, hat aber noch schwache Signalwirkung, zumal die länderspezifischen Einreisebestimmungen auch bei offenen Grenzen noch unterschiedlich sind.

Wie sieht es anderswo aus? In Asien halten viele Länder trotz vergleichsweise tiefen Fallzahlen die Grenzen weitgehend dicht - was jedoch für immer mehr Unmut sorgt, denn die Wirtschaft auch von Tigerstaaten wie Thailand wird gegenwärtig massiv beschädigt. Offen sind Nepal oder auch Kirgisistan und Usbekistan - ob aus wirtschaftlichem Kalkül oder anderen Gründen, sei dahingestellt. Auch diese Länderöffnungen bieten zwar für hartgesottene Reisende Alternativen, bilden aber nicht gerade Vertrauen für Reisen in eine ganze Weltregion. Südamerika kämpfte seinerseits zuletzt mit ganz anderen Problemen - immerhin haben Brasilien, Costa Rica oder auch Ecuador ihre Grenzen wieder geöffnet, wobei erstere zwei aber noch auf der Risikoländerliste des BAG sind. Die USA tun sich weiterhin schwer mit einer Öffnung; vielleicht ist die Öffnung auch Spielball in der bevorstehenden Präsidentschaftswahl - mit einer Öffnung kurz vor der Wahl würde ein Signal an die Wirtschaft gegeben. Doch das am stärksten von Corona getroffene Land der Welt ächzt derzeit noch unter Auflagen, welche von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden sind. Ozeanien derweil hat sich ins 2021 verabschiedet.

Jeder für sich kann keine Lösung sein

Die Problematik wird überdeutlich klar: Einzelne Länder, die sich öffnen, gewinnen vielleicht ein paar Touristen, tragen jedoch nicht zum Vertrauen in die Reisetätigkeit in deren Region bei. Wenn sich schon mehrere Länder eine Grossregion öffnen, wie aktuell im Südlichen Afrika, wird schon eher Vertrauen geschaffen. Eigentlich hatte man erwartet, dass auch Europa ab dem Sommer wieder relativ frei bereisbar wäre, doch ist aktuell das Gegenteil der Fall - der Flickenteppich der Quarantäne-Androhungen und speziellen Gesundheitsmassnahmen wird wieder unübersichtlicher. Fluggesellschaften fahren im Herbst die Kapazitäten wieder herunter, das Wintergeschäft sieht nicht vielversprechend aus, um es euphemistisch auszudrücken.

Mittlerweile sollte klar sein: So geht das auf Dauer nicht. Zumindest Grossregionen, ob ganze Kontinente oder spezielle kulturelle/wirtschaftliche Ballungsräume (wie z.B. Südostasien), müssen gemeinsam vorgehen. Es braucht in einer globalisierten Welt nun mal verbindliche, länderübergreifende Regeln. Niemand stellt in Abrede, dass das Coronavirus für viele Menschen eine gesundheitliche Bedrohung darstellt und es stringente Massnahmen braucht, um dessen weitere Ausbreitung einzudämmen. Doch in der globalisierten Welt, in der man jederzeit mitverfolgen kann, was in anderen Ländern passiert, nehmen die vielen einzelnen und teils voneinander völlig unterschiedlichen Massnahmen jegliches Vertrauen der Öffentlichkeit weg und nähren höchstens den Boden für all jene, die von «geplanten Aktionen des Deep State» und ähnlichem Unsinn schwafeln. Globale Herausforderungen wie die einer Pandemie lassen sich nur durch koordinierte Anstrengungen über Ländergrenzen hinweg lösen. Zeit, dass die Politiker sich mehr mit Problemlösung und weniger mit der Bedienung der eigenen Klientel/Wählerschaft auseinandersetzen.

Es stehen nämlich nicht nur die Jobs in der immerhin weltweit grössten Branche, dem Tourismus, auf dem Spiel. Es stehen noch viele Tausende Jobs in anderen betroffenen Branchen auf dem Spiel. Und wo Stabilität, Geld und Perspektiven fehlen, liegen die Nerven blank, das hat dieses Jahr eindrücklich bewiesen - man will sich gar nicht ausmalen, wo das hinführen kann. Vielleicht muss man also den V.A.R. wieder abschaffen und sich auf ein allgemeingültiges Regelwerk verständigen, welches trotz möglicher Mängel Vertrauen bildet.

(JCR)