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Rückkehrer aus sogenannten Risikoländern müssen in eine zehntägige Quarantäne. Doch welches sind die Risikoländer in zwei, drei Wochen? Die Planbarkeit für Reisende und Reisebüros ist derzeit futsch. Bild: TN

Kommentar Diese Quarantäneregel ist absurd

Gregor Waser

Die Planungssicherheit fehlt komplett. Stets neue Länder und Regionen tauchen auf der Liste jener Länder auf, aus denen Reiserückkehrer zur Quarantäne verpflichtet werden. Dass die Schweiz selber ein Risikogebiet ist, macht den Quarantänezwang fragwürdig.

Seit Freitag müssen nun also auch Reisende, die Paris oder Wien besucht haben, nach ihrer Rückkehr in die Schweiz in eine zehntägige Quarantäne. Überschreitet ein Land – oder wie im Fall von Frankreich, Österreich oder Spanien eine einzelne Region – den Grenzwert von über 60 Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner in den letzten 14 Tagen, folgt der Eintrag auf der Risikoländerliste des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) – wobei sich das BAG eine gewisse Dehnbarkeit der Regel vorbehält und je nach Fall eine «vertiefte Analyse» vornimmt. 53 Länder stehen derzeit darauf, wie die Liste nächste Woche aussehen wird, ist offen.

Die Reisebranche steht mit dem Rücken zur Wand, für viele Reisebüros hat das letzte Stündlein geschlagen. Ohne Planbarkeit, ohne zu wissen, ob eine Reise in den Herbstferien an dieses oder jenes Ziel möglich ist, bleiben die Reisebuchungen aus. Das aktuelle Regime der Quarantäne nach einer Rückkehr aus einem sogenannten Risikoland, ist ein gewaltiger Killer.

Zwar hat die Reisebranche schon einige Hilfe erhalten: Kurzarbeitsentschädigung, Hilfskredite, eine Verlängerung des Betreibungsstopps. Die Taskforce von SRV/STAR/TPA und die Aktion Mayday haben in Bern einiges bewegt und zahlreiche Politiker mobilisiert und auf die dramatische Lage aufmerksam machen können. Doch die Zeit läuft davon. Ob die erhofften Fixkostenzuschüsse überhaupt, und wenn ja, noch in diesem Jahr erfolgen, ist fraglich – ebenso die rückwirkende Erwerbsausfallsentschädigung für Reisebüro-Inhaber.

Der Ton ist rüder geworden

Kein Wunder liegen die Nerven blank. Die Reisebranche beginnt sich selber zu zerfleischen. SRV-Präsident Max E. Katz sagte letzte Woche an der jährlichen Medienkonferenz, wie sehr er den sonst üblichen, freundschaftlichen Austausch innerhalb der Branche vermisse, unter anderem auch  wegen der fehlenden Branchenanlässe. Der Ton sei rüde geworden.

In der Tat. Ein Beispiel eines Mails, das ein Reisebüro-Inhaber vergangene Nacht an die SRV-Taskforce geschrieben – oder besser gesagt geschrien – hat: «Wie sieht‘s aus? War’s das schon wieder? Was sind Eure Pläne? Seit vier Tagen haben wir nichts mehr von Euch gehört. Euer Mail vom Freitag war informeller Natur, mehr nicht. Wie geht’s also weiter? Habt Ihr irgendwelche Ideen? Gegessen ist ja noch gar nichts, jetzt brauchen wir erst recht einen Effort, right? Wie stellt Ihr Euch das vor?»

Das Toben der Reisebüros ist mehr als verständlich. Die letzten Geldmittel sind abgeflossen, ohne weitere Hilfe stehen zahlreiche Konkurse an. SRV & Co. wiederum haben in den letzten Wochen viel Lobbyingarbeit geleistet, sehen sich gleichwohl einem Gewitter der Kritik ausgesetzt. Die Kritik ist aber nur teilweise berechtigt, etwa wegen dem verspäteten gemeinsamen Engagement mit anderen Verbänden oder der zurückhaltenden Kommunikation anfangs der Krise. Die Hoffnung der Reisebüros, der SRV könne in Bern mit den Fingern schnippen und ein Hilfspaket mit nach Hause nehmen, ist illusorisch.

Dies verdeutlichen auch die Worte von Alain Berset. Bei der Bekanntgabe der neuen Risikoländerliste sagte der Gesundheitsminister am Freitag, dass es auch darum gehe, der Bevölkerung vor den Herbstferien die Lust am Reisen zu nehmen. Das hat er geschafft.

Quarantäneregel kommt unter Druck

Gleichzeitig sind die bundesrätlichen Empfehlungen, doch in der Schweiz Ferien zu machen, verwunderlich. Würde es nach dem BAG-Massstab gehen, stünden mittlerweile schon zahlreiche Schweizer Regionen selber auf der Risikoländerliste. Von wegen goldener Herbst und durch die Weinberge am Lac Léman schlendern. Bereits fünf Kantone müssten auf der Quarantäneliste auftauchen: Waadt mit 190 Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner, ebenso Freiburg (133), Genf (116), Neuenburg (63) und Zürich (63).

Und Dubai soll also gefährlicher sein als Zürich? Obwohl man weiss, dass man sich eher im familiären und im Job-Umfeld ansteckt als bei Ferien, wo man ja nicht gerade jedem Fremden zu nahe kommt?

Die Schweiz ist jedenfalls jetzt selber ein Risikogebiet. Auf diese absurde Konstellation angesprochen, ob unter diesen Umständen eine Quarantäneregel noch Sinn mache, antwortet heute ein BAG-Sprecher dem «Blick»: «Inwiefern diese Entwicklung Einfluss hat auf die Quarantäne-Regelung für Ein-/Rückreisende, ist offen». Das heisst zwar noch nichts, verdeutlicht aber: die Quarantäne kommt immer mehr unter Druck. Schliesslich fordern Luftfahrt- und Tourismusbranche, auf Tests zu setzen und bei negativem Ergebnis auf die Quarantäne zu verzichten. Diese Stossrichtung hat Travelnews schon mehrfach beleuchtet, sie wird immer drängender. Nicht nur für Reisende und Reisebüros – genauso für Airlines, Flughäfen, Hotels und die einzelnen Destinationen. Ohne Schnelltests und eine Änderung der Quarantäneregel schmiert die ganze Reisebranche ab.