Destinationen

Der Vulkan White Island in Neuseeland explodierte am Montag unerwartet. Bild: Michael Schade @sch/Twitter

«Es war, wie wenn ein Korken aus der Flasche springt»

Urs Wälterlin, Auckland

Nach dem Tod von wahrscheinlich 13 Menschen beim Ausbruch des Vulkans White Island in Neuseeland am Montag soll die Polizei untersuchen, ob Touristen trotz Warnung vor einem möglichen Ausbruch auf die Insel hätten reisen dürfen.

Einen Tag nach dem Ausbruch des Vulkans White Island in Neuseeland hat die Regierung jede Hoffnung aufgegeben, noch Überlebende zu finden. Premierministerin Jacinda Ardern meinte gegenüber den Medien, es gehe jetzt darum, die auf der Insel verbleibenden Opfer zu bergen. Sie gehörten zu insgesamt 47 Besuchern, die am Montag vom Ausbruch überrascht worden waren.

Am Dienstagabend Ortszeit lag die Zahl der Todesopfer weiter bei fünf. Acht weitere Menschen werden vermisst. 31 Touristen und Begleiter waren bereits am Montag evakuiert und mit zum Teil schweren Verbrennungen in Krankenhäuser eingeliefert worden. Laut Jacinda Ardern stammen die Toten und Verletzten aus Australien, Neuseeland, Malaysia, China und den USA und Deutschland. Die meisten australischen Opfer waren mit dem Kreuzfahrtschiff «Ovation of the Seas» von Royal Caribbean Cruises unterwegs. Der Besuch von White Island war ein Landausflug für die Passagiere.

Auch am Dienstag war es Rettungskräften nicht möglich, auf die 50 Kilometer vor der neuseeländischen Nordinsel gelegene White Island mit den Bergungsarbeiten zu beginnen. Nur ein Rettungshubschrauber konnte kurz landen. Die Polizei berichtete, Luftaufnahmen von Überflügen durch Hubschrauber und Drohnen hätten in Bild grosser Verwüstung gezeigt. Die Körper von sechs mit Asche bedeckten Leichen seien gesehen worden, sowie ein zerstörter Hubschrauber. Der Vulkan sei weiter aktiv – ein Rauchpilz von über drei Kilometern Höhe war auch am Dienstag vom Festland aus sichtbar. Es käme immer wieder zu kleineren Eruptionen. Auf dem benachbarten Festland spürten Bewohner am Dienstag ein Erdbeben. Experten glauben, die Chance sei gross, dass der Vulkan nochmals ausbrechen könnte.

Wie der zuständige Polizeikommandant am Dienstag meinte, haben die Behörden eine Untersuchung in den Hintergrund des Todes der fünf bestätigten, wahrscheinlich aber 13 Opfer begonnen. Obwohl die Todesursachen nicht klar sind, glaubt der Geologe David McBride von der Universität Otago, dass Gasvergiftung zumindest eine Rolle gespielt haben könnte. Schon «nur ein Atemzug» von hochgiftigem Schwefelwasserstoff könne das Herz eines Menschen dazu bringen, «augenblicklich zu stoppen».

Kritik an Reiseunternehmen

Inzwischen wächst die Kritik an den Reiseunternehmen, die seit Jahren tägliche Ausflüge vom Festland auf den Vulkan anbieten. Rund 10'000 Touristen besuchen White Island pro Jahr – unter Sicherheitsvorkehrungen und in Begleitung eines speziell ausgebildeten Führers.

Kommentatoren stellten am Dienstag die Frage, weshalb die Touren weiter durchgeführt worden waren, obwohl die neuseeländische Vulkan- und Erdbebenmessstation GeoNet schon vor Wochen den Warnpegel für einen möglichen Ausbruch erhöht hatte. Stufe 2 ist die höchste Alarmstufe vor einem Ausbruch und bedeutet «mittlere bis erhöhte Vulkanausbrüche» mit dem «Potenzial für die Gefahr eines Ausbruchs». Der Grund für die Anpassung seien erhöhte Gaswerte gewesen sowie vulkanische Erdbeben, so GeoNet. Entgegen früheren Berichten liege die Verantwortung schliesslich bei den Reiseunternehmen, darüber zu entscheiden, ob sie weiterhin Touren anbieten wollten, nicht bei den Behörden, so die Zeitung «New Zealand Herald».

Die Firma White Island Tours schreibt auf ihrer Webseite, sie habe den Besuch der Insel während verschiedenen Alarmstufen angeboten. Passagiere müssten «sich bewusst sein, dass das Risiko vulkanischer Aktivität unter jeder Alarmstufe besteht». Eines der Todesopfer arbeitete als Führer für White Island Tours.

Der neuseeländische Vulkanologe Geoff Kilgour meinte am Dienstag, der Vulkan habe vor der Eruption wenige Warnsignale von sich gegeben. Der Ausbruch sei plötzlich erfolgt. «Es war, wie wenn ein Korken aus der Flasche springt», so der Wissenschaftler. Sein Kollege Tom Wilson stimmte ihm am neuseeländischen Fernsehen zu: «Manchmal gibt es schlicht keine chemischen Signale für einen bevorstehenden Ausbruch».

Auch der Strukturgeologieexperte Chris Elders von der australischen Curtin University meinte am Dienstag, der Ausbruch sei «sehr unerwartet» gewesen. «Die beobachtete Zunahme der Aktivität war relativ gering, nur mehr eine Freisetzung von Gas und Schwefel, kein eindeutiger Hinweis darauf, dass ein so heftiger Ausbruch stattfinden würde», sagte er. Ausbrüche wie dieser seien relativ selten oder würden in weiten Abständen auftreten. Laut dem Experten besuchten Touristen auch an anderen Orten aktive Vulkan mit ähnlichen Eigenschaften. «Es ist sehr schwierig zu sagen, zu welchem Zeitpunkt Menschen aufhören sollten, an einen solchen Ort zu gehen», sagte er. Der Akademiker meinte, das Gefahrenpotenzial sei «in gewisser Weise ein Teil der Anziehungskraft, schätze ich.»