Destinationen

Weder der Restaurantname noch das Menü sind für westliche Gäste verständlich. Na und? Bild: Banter Snaps

Einwurf Die Reise muss nicht immer reibungsfrei sein

Jean-Claude Raemy

Die Welt wird immer zugänglicher - und dadurch irgendwie auch immer gleichgeschalteter. Das führt zur Entzauberung vieler exotischer Destinationen. Sollten wir uns nicht vermehrt auf Land und Kultur einlassen, statt immer mehr Convenience zu fordern?

Wir können heute praktisch überall hin reisen, nur nicht durch die Zeit. Das wünschte ich mir manchmal: Eine Reise ins Zeitalter der Entdeckungen, zwischen 15. und 18. Jahrhundert, als Seefahrer und Forschungsreisende in bislang unbekannte Weltgegenden vorstiessen. Was mussten die wohl staunen! Allerdings mussten sie auch Entbehrungen auf sich nehmen, konnten sich bei ihren Zufallsbegegnungen mit Einheimischen nicht verständigen, fühlten sich oft sicherlich komplett abgenabelt von ihrer vertrauten Welt.

Heute, in der globalisierten, erforschten, medial dauerhaft zugänglichen und rundum bereisbaren Welt, wünscht man sich diese Exotik und Abnabelung sehnlichst zurück. Wer es sich leisten kann, bezahlt viel, um dorthin zu gelangen, wo man noch Ursprünglichkeit findet - und trägt gleichzeitig dazu bei, diese Ursprünglichkeit zu zerstören. Es ist die alte Krux des Reisens: Was einmal entdeckt ist, wird sich unweigerlich verändern.

Das Phänomen wird in der modernen Welt erst recht deutlich. Nehmen wir als Beispiel Japan. Das Land liegt aktuell extrem im Trend, bald stehen die Olympischen Spiele 2020 in Tokio an, und Schweizer Reisende können nebst Tokio bald auch Osaka nonstop anfliegen. Bei meinem ersten Besuch in Japan vor zig Jahren war das Land natürlich schon modern, mit gewissermassen westlicher Architektur und starker Wirtschaft, aber eben auch noch vollständig exotisch. Die Leute waren freundlich und hilfsbereit, aber selten des Englischen mächtig, lateinische Schriftzeichen suchte man vergeblich und die Reise von A nach B konnte zu einem echten Abenteuer werden. Das war vielleicht teils frustrierend, aber auch lehrreich und anregend.

Heute gibt es GoogleMaps, welches nicht nur bei der Orientierung hilft, sondern gleich Übersetzungsdienste mit einbindet. Überdies hat Japan darauf hingearbeitet, für Touristen einfacher zugänglich zu sein; insbesondere Tokio ist nun für Reisende, die nicht des Japanischen mächtig sind, einfacher zu bereisen geworden. Laut dem «Economist» hat dies alles System: Japan will von den Olympischen Spielen nachhaltig profitieren, und indem es touristenfreundlicher wird, bleiben die Menschen länger, geben mehr aus, kommen wieder. Gewisse Inschriften finden sich jetzt auch auf Englisch, Hotelmitarbeitende und Taxifahrer werden mit Übersetzungs-Apps ausgestattet, mehr Läden werden mit Kreditkartenterminals ausgestattet.

Muss das sein?

Für ausländische Besucher ist es sicherlich beruhigend zu wissen, dass man jetzt einfacher, schneller, besser durch Tokio und Japan kommt und man bei einem Problem nicht «Lost in Translation» ist (in Anlehnung an den wunderbaren, 2003 in Tokio gedrehten Film). Und gewiss, diese «Annehmlichkeit» dürfte sich positiv auf die Besucherzahlen auswirken.

Und doch... war doch Japan bislang einzigartig und Tokio auch nicht austauschbar mit anderen Weltmetropolen, die sich teilweise immer ähnlicher sind, vom kulturellen Angebot wie von der Architektur her. Der Charme einer Reise ist doch, dass eben nicht alles heimisch aussieht - was dafür manchmal dann eben auch «unheimlich» sein kann. Aber genau das sucht man doch, sonst kann man zuhause bleiben. Mich graust es bei der Vorstellung, dass man dereinst mit smarten Brillen in Tokio herumlaufen kann, welche die Schrift direkt vor dem Auge ins Deutsche übersetzen, und man dann mit einem Sprachsynchronisator den Chai Latte aus der Starbucks-Filiale problemlos bestellen und kontaktlos bezahlen kann (und nicht mal mehr wissen muss, dass der Yen die lokale Währung ist). Man fällt dann auch nicht mehr als Tourist auf - der Traum vieler Touristen. Aber damit wird auch die Tür zu einer Annäherung an Einheimische geschlossen.

Es muss nicht immer alles reibungslos laufen auf Reisen. Man darf sich auch mal verloren und hilflos fühlen, und dadurch die Hilfsbereitschaft der Einheimischen erfahren. Man darf mal was Unvorhergesehenes erleben, Zeit verlieren, planlos sein. In der zunehmend homogenisierten, reibungsfreien Welt wird man darauf achten müssen, dass man noch «echtes Reisefeeling» erleben kann.