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So soll der Yachthafen des sich im Bau befindenden Red Sea Projects einst aussehen. Bild: Red Sea Project.

Wie vielversprechend sind Saudi-Arabiens ehrgeizige Tourismusziele?

Das bislang streng religiöse und für Touristen nur sehr beschränkt bereisbare Land arbeitete die letzten zwei Jahre intensiv an der ersten Umsetzung seiner hochgesteckten Tourismusprojekte. Ein Lagecheck.

Vor gut zwei Jahren kündigte der saudiarabische Kronprinz Mohammed bin Salman an, das Land für Touristen zu öffnen. Mit dem grossangelegten Projekt «Vision 2030» will er das Königreich langfristig unabhängiger vom Erdöl machen. In einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Arabian Travel Marktes (ATM) 2019 von dieser Woche diskutierten Vertreter von Saudia Private Aviation (SPA), Dur Hospitality, Colliers International MENA, Marriott International, der Jabal Omar Development Company und der Saudi General Investment Authority die bevorstehenden touristischen Entwicklungen und Visumsreformen.

Gemäss Schätzungen des World Travel and Tourism Council (WTTC) sollen tourismusbezogene Sektoren in diesem Jahr mehr als 25 Milliarden USD erwirtschaften und damit das BIP um,3 Prozent beflügeln.

Bereits lanciert sind Projekte im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar, darunter die künstlich angelegte Mega-City NEOM: Sie soll sich über eine Fläche von 26‘500 Quadratkilometer erstrecken, also mehr als die Hälfte der Fläche der ganzen Schweiz umfassen und insgesamt 12 kleine Städte mit Lifestyle- und Tourismusprodukten, Luxushotels und Villen bieten. Dabei wird ausschliesslich auf Wind- und Solarenergie gesetzt. Die erste Phase soll bereits 2020 abgeschlossen sein, wie Saudi-Arabien im Rahmen des ATM bekanntgab. Allerdings wird mit dem Bau erst in den nächsten Monaten begonnen, wie der Vorstandsvorsitzende der NEOM-Stadt, Nadhmi Al-Nasr, Ende April gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur «Saudi Press Agency» sagte.

9000 neue Hotelzimmer im Jahr 2019

Die Zahl der internationalen Ankünfte sollen gemäss einer Studie von Colliers in Zusammenarbeit mit dem Arabian Travel Market (ATM) voraussichtlich um 5,6 Prozent pro Jahr von 17,7 Millionen im Jahr 2018 auf 23,3 Millionen im Jahr 2023 steigen. Auch die Inlandreisen sollen zunehmen: In diesem Jahr voraussichtlich um acht Prozent. Im Jahr 2018 betrug die Zahl der einheimischen Touristen laut Colliers 47 Millionen, im Jahr 2023 soll diese Zahl auf 70,5 Millionen steigen.

Bislang habe es für die Inland-Reisenden nicht wirklich Angebote gegeben – mit dem «Red Sea Project» und «NEOM» soll sich das aber schon bald ändern. Alex Kyriakidis, Präsident und Geschäftsführer von Marriott ME & A von Marriott International, sagte: «Die Bewohner Saudi-Arabiens finden in den neuen Projekten von Gastfreundschaft über Wellness bis hin zu Unterhaltung und Sport alles, was sie sich wünschen. Ein grosser Teil der lokalen Bevölkerung dürfte diese Angebote nutzen.»

Auch der Ausbau der Hotellerie läuft auf Hochtouren: Im Jahr 2019 werden insgesamt 9000 Hotelzimmer im drei bis fünf Sterne-Sektor auf den Markt kommen. Die InterContinental Hotels Group, zu der auch die Marken Crowne Plaza, Holiday Inn und Intercontinental gehören, will in den nächsten drei bis fünf Jahren ihr Portfolio nach eigenen Angaben in Saudi-Arabien auf mehr als 60 Hotels verdoppeln. Pascal Gauvin, Geschäftsführer der IHG Indien, dem Nahen Osten und Afrika, ist überzeugt: «Wir werden vom Roten Meer und vom Wachstum in Städten wie Jeddah und Riad profitieren.» Von den 5'600 Objekten der IHG befinden sich allein 91 im Nahen Osten, weitere 50 in Afrika und Indien.

Das E-Visa-System wird in Kürze verfügbar sein

In den nächsten elf Jahren plant das Königreich, 36 Milliarden US-Dollar in die Strassen, Flughäfen, Eisenbahnen und Häfen des Landes zu investieren. Ebenfalls im Gange ist der Bau des «Red Sea Projects». Dieses wird 50 Inseln im Wasser umfassen. Die erste Phase von 14 Luxushotels mit 3000 Zimmern, einem Yachthafen und Freizeit- und Unterhaltungsangebote soll bis 2022 abgeschlossen sein.

Auch die Lockerung der Visumsbestimmungen wurde bereits im November 2017 angekündigt. Die Webseite für das E-Visum ist zwar bereits online, aber die tatsächliche elektronische Einholung eines Visums sei erst «in Kürze verfügbar.» Derzeit ist eine Visumsfreie Einreise nur aus den Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Kuwait und Oman möglich. Bis das E-Visum tatsächlich funktionstüchtig ist, könne man ein Visum nur persönlich bei der nächstgelegenen Botschaft beantragen. Derzeit gebe es allerdings kein Visum für touristische Zwecke.

Ausserdem sei die Erweiterung des Flughafens und der Bau neuer Terminals im Gange. Vor allem der MICE-Markt soll in Zukunft florieren: Bis zum Jahr 2020 will Saudi-Arabien 1,6 Milliarden US-Dollar in entsprechende Einrichtungen investieren, wobei bereits eine Reihe von Events geplant seien, darunter auch die Ausrichtung des G20. Der MICE-Sektor soll in den nächsten Jahren dann auch das stärkste Wachstum verzeichnen.

EDA teilt Saudi-Arabiens Optimismus nur beschränkt

Der Optimismus Saudi-Arabiens betreffend Tourismus und der «Vision 2030» ist unverkennbar gross. Majid M AlGhanim, Direktor für Tourismus bei der saudi-arabischen General Investment Authority, sagt: «Viele der Reformen die derzeit im Gange sind, wie beispielsweise 100-prozentiges Eigentum und eine einfachere Registrierung für ausländische Unternehmen, werden hoffentlich sehr bald sehr viele internationale Investoren anlocken.»

Sieht man sich die Reisehinweise des eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) an, scheint dieses den Optimums allerdings noch nicht so richtig zu teilen: «Reisen nach Saudi-Arabien sind mit gewissen Risiken verbunden. Wegen der komplexen Verhältnisse im Mittleren Osten kann sich die Sicherheitslage plötzlich ändern. Der bewaffnete Konflikt in Jemen wirkt sich stark auf die Sicherheitslage in den saudi-arabischen Grenzgebieten zu Jemen aus. Vereinzelt erreichen aber auch Raketen mit einer Reichweite von mehreren hundert Kilometern Saudi-Arabien. Die saudische Luftabwehr konnte mehrere Raketenangriffe vereiteln, die auf Mekka und Riad zielten. Beachten Sie auch das Kapitel spezifische regionale Risiken. Im ganzen Land besteht die Gefahr von Terrorakten.»

Dass das Land nicht auf Massentourismus abzielen dürfte, zeichnet sich ab. Vielmehr wird sich Saudi-Arabien auf weniger, dafür finanziell gut gestellte Reisende fokussieren. Ob dafür nicht erst - wie von einigen Branchenkennern gefordert - konsequent alle herrschende Regulationen gelockert werden müssen, wird sich zeigen. Der Hauptmarkt dürfte in den nächsten zehn Jahr weiterhin der religiöse Tourismus sein: mit dem Ziel bis 2030 rund 30 Millionen Pilgern nach Saudi-Arabien zu locken. Das wäre eine Steigerung von gut 11 Millionen gegenüber den 19 Millionen Pilgern, die im Jahr 2017 gezählt wurden.

Die saudi-arabische Delegation verliess die ATM auf jeden Fall zuversichtlich. Bis zum 1. Mai präsentierten auf der ATM 2019 mehr als 2'500 Aussteller ihre Produkte und Dienstleistungen im Dubai World Trade Center. In der letztjährigen Ausgabe der ATM, die unter Fachleuten als Barometer für den Tourismussektor im Nahen Osten und Nordafrika (MENA) gilt, kamen 39'000 Besucher - was bislang die höchste Besucherzahl in der Geschichte der Messe war.

(LVE)