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Kommentar Sri Lanka: Ist die Reisewarnung gerechtfertigt?
Linda von EuwSeit den Terroranschlägen vom Ostersonntag, 21. April 2019, reisst die Berichterstattung um Sri Lanka nicht ab. Grossbritannien und Deutschland sprachen am Freitag eine Reisewarnung aus, auch Indien und die USA warnen ihre Bürger vor Reisen in das Land. Am Samstagabend (27.4.) zog die Schweiz nach. Das Ausbleiben von Touristen ist für das Land verheerend – sind die wichtigsten Reise-Märkte doch gerade Indien, China, Grossbritannien und Deutschland.
Ein Blick auf die Touristenzahlen widerspiegelt den Erfolg der letzten Jahren: Die Zahl der Ankünfte verfünffachte sich von 447'000 im Jahr 2009 auf 2,3 Millionen im Jahr 2018. Letztes Jahr bereisten 34'000 Schweizer Sri Lanka – 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 ging es mit 740‘600 internationalen Ankünften in Colombo positiv weiter, das Land war auf ein starkes Tourismus-Jahr eingestellt.
Nach den ausgesprochenen Reisewarnungen ist klar: Der Tourismus in Sri Lanka wird zumindest kurzfristig zusammenbrechen. Die wirtschaftlichen Folgen dürften enorm sein. Die Regierung des Landes rechnet mit einem Besucherrückgang von 30 Prozent. Der daraus resultierende Verlust soll sich auf 1,3 Milliarden Euro belaufen. Das Land werde bis zu zwei Jahre brauchen, um sich von den Auswirkungen zu erholen. Schätzungen zufolge leben 150'000 Menschen direkt vom Tourismus, eine weitere Viertelmillion indirekt. Im Land selber gibt es rund 3500 Hotels und Unterkünfte.
Die Frage, die sich mir stellt: Ist der Schritt der Reisewarnung verhältnismässig? Eine Warnung von offizieller Seite hat schliesslich immer drastische Auswirkungen auf den Tourismus. In so einem Fall müssen Reiseveranstalter reagieren, was betroffene Veranstalter weltweit auch umgehend getan haben.
Sri Lanka-Reisende sind sich Unsicherheiten gewohnt
Aber gerade Sri Lanka ist ein Land, in dem Touristen seit eh und je mit Unsicherheiten rechnen mussten. Bis im Mai 2009 herrschte 30 Jahre lang Bürgerkrieg. Natürlich richtete sich der Bürgerkrieg nicht gegen Touristen – mit Unruhen musste aber immer gerechnet werden. Zudem waren die Checkpoints rund um den Flughafen beachtlich, die Sicherheitslage dürfte des Öfteren heikel gewesen sein. Als die Situation 2009 kurzzeitig eskalierte, weiteten sich die Kampfhandlungen bis nach Colombo aus. Und auch von Umweltkatastrophen blieb Sri Lanka nicht verschont: Wir erinnern uns an den Tsunami kurz nach Weihnachten im Jahr 2004.
Schaut man sich in der Welt um, zeigt sich: Bedauerlicherweise sehen sich zahlreiche Länder mit Terror konfrontiert. Hier nur einige Beispiele der letzten Jahre:
- Bangkok, 17 August 2015. Bomben explodieren an der Kreuzung Ratchaprasong im Distrikt Pathum Wan: 20 Menschen sterben, 125 werden verletzt.
- Paris, 13. November 2015. Mehrere Attentäter wüten in den Strassen von Paris. 30 Menschen sterben, 683 werden verletzt.
- Brüssel, 22. März 2016. Zwei Bomben explodieren im Check-in-Bereich des Flughafens. Eine weitere Bombe explodiert eine Stunde später in der Metrostation Maelbeek. 35 Menschen sterben, über 300 werden verletzt.
- Istanbul, 28. Juni 2016. Drei bewaffnete Attentäter stürmen den Flughafen und töten 45 Menschen, mehr als 160 werden verletzt.
- Nizza 16. Juli 2016. Ein Attentäter rast am Nationalfeiertag mit einem LKW an der «Promenade des Anglais» in die Menschenmenge. 86 Personen sterben, 400 Menschen werden verletzt.
- Berlin, 19.12.2016. Breitscheidplatz: Ein Attentäter rast mit seinem LKW mitten in den Weihnachtsmarkt. 12 Menschen sterben, 55 werden verletzt.
- Barcelona, 17. August 2017. Ein Attentäter fährt auf dem Boulevard La Rambla in eine Menschenmenge. 16 Menschen sterben, 118 werden verletzt.
Bei zahlreichen der genannten Anschläge richteten sich die Täter offensichtlich auch gegen Reisende. Für keines dieser Länder wurde in der Folge eine Reisewarnung seitens des EDA ausgesprochen. Zum Vergleich: Bei den Anschlägen in Sri Lanka starben 39 Touristen, 19 wurden verletzt.
EDA entscheidet unabhängig von anderen Ländern
Im Interview mit travelnews.ch sagte Esther Leupp, Leiterin der Reisehinweise beim EDA: «Die Einschätzungen kommen in erster Linie von unseren Botschaften, Konsulaten und den sich im Ausland befindenden Koordinationsbüros. Diese haben ein grosses Kontaktnetz zu lokalen Behörden wie auch zu Schweizern, die schon lange im entsprechenden Land leben, aber auch zu Schweizer Firmen, die in der Region ansässig sind oder zu lokalen wie auch Schweizer NGOs. Weiter stehen sie in Kontakt zu anderen Botschaften und Konsulaten. Ebenso fliessen die Informationen der Nachrichtendienste mit ein, vor allem wenn es ums Terror-Risiko geht. Der Informationsaustausch mit unseren Botschaften erfolgt in der Regel schriftlich. Hier in Bern sind wir drei Leute, die für die Reisehinweise zuständig sind.»
Natürlich sei jeweils bekannt, was die anderen Länder machen. Meist seien die Lagebeschreibungen ähnlich. Jedes Land entscheide aber unabhängig.
Die Terroristen haben gewonnen
Ohne Frage: Jedes Opfer ist eines zu viel. Die Anschläge in Sri Lanka sollen weder schöngeredet noch gerechtfertigt werden. Trotzdem ist es fraglich, ob die Reisewarnung wirklich sein muss. Die Hauptreisezeit für Sri Lanka ist vorbei. Der letzte Edelweiss-Direktflug geht diese Woche von Colombo nach Zürich. Jetzt kommt die Monsunzeit und somit ist die Zeit für Rundreisen – für welche das Land neben Ayurveda-Kurferien sicherlich am beliebtesten sein dürfte – nicht besonders attraktiv.
Die Ayurveda- und Strand-Hotels liegen überwiegend ausserhalb der Hauptstadt. Reisende, die Ayurveda oder auch Strandferien machen, werden in der Regel vom Flughafen mit PKWs individuell zum Hotel gebracht und bleiben danach dort. Die Hotels haben in der Off-Season immer etwas mit Personal-Überschuss zu kämpfen. Viele Angestellte dürften mit dem Entscheid der «grossen Märkte» von Reisen nach Sri Lanka abzuraten, ohne Job dastehen.
Es ist klar, dass das EDA auf wirtschaftliche Schäden für das Land keine Rücksicht nehmen kann. Leupp erklärte, dass die Beweggründe für ein Abraten von Reisen immer dargelegt würden. Im Falle von Sri Lanka liest man als Grund: «Die Sicherheitslage ist unübersichtlich und die Entwicklung ungewiss.» Ist die Entwicklung der Sicherheitslage aber nicht in jedem Land dieser Welt ungewiss?
Ob man weiterhin nach Sri Lanka reisen möchte oder nicht, ist natürlich jedem selber überlassen. Traurigerweise muss man aber sagen: In Sachen Tourismuseinbruch und wirtschaftlichem Schaden haben die Terroristen, die für die Anschläge in Sri Lanka verantwortlich sind, mit den viel-mundig ausgesprochenen Reisewarnungen auf ganzer Linie gewonnen.