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HSR-Professor Dominik Siegrist setzt sich dafür ein, dass Nachhaltigkeit endlich zu einem zentralen Bestandteil des Alltags sowie auch des wirtschaftlichen Denkens wird - gerade im Tourismus. Bild: TN

«Die Tourismusbranche muss sich ernsthafter mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen»

Jean-Claude Raemy

Dominik Siegrist, Professor und Gründungsmitglied von «Klimaschutz Schweiz», appelliert unter anderem an die Schweizer Tourismusbranche, sich dringlicher mit Nachhaltigkeitsthemen zu befassen. Gegenüber travelnews.ch erklärt er, warum.

Es bleibt uns nur noch wenig Zeit, um den Treibhauseffekt soweit einzudämmen, dass die globale menschengemachte Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius beträgt. Das haben weltweit führende Klimaexperten im Rahmen des «Intergovernmental Panel on Climate Change» der UNO anfangs dieser Woche erklärt, wie hier nachzulesen ist. Das ambitiöse Ziel von maximal 1,5 Grad sei immer noch erreichbar, obwohl diese Begrenzung am untersten Rand des Ziels ist, welches vor drei Jahren im Pariser Übereinkommen definiert wurde. Demnach wollen  die Unterzeichnerstaaten durch Energiesparen, Effizienzsteigerung und erneuerbare Energieformen bis spätestens 2050 vom «fossilen Pfad» abkommen. Der Zeithorizont dafür wird aber immer knapper, und passiert ist noch viel zu wenig.

Alarmismus? Mitnichten. Es ist Zeit, dass Klimaziele endlich ernst genommen und zeitnah umgesetzt werden – auch im Tourismus. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass der Tourismus einen wachsenden Anteil am weltweiten Klimagas-Ausstoss beiträgt. Auch wenn die Hauptverursacher weiterhin in den Sektoren Industrie, Verkehr und Landwirtschaft zu finden sind, hat in den letzten Jahren das enorme Wachstum der Tourismusindustrie dazu beigetragen, dass ihr Beitrag am Klimagas-Ausstoss laut neusten Studien auf einen erheblichen Anteil angewachsen ist.

Einer, der sich professionell mit dem Klimawandel und dessen Zusammenhang auch mit Tourismus auseinandersetzt, ist Dominik Siegrist, den travelnews.ch zu einem Gespräch am Zürcher Hauptbahnhof getroffen hat. Der Professor erklärt nüchtern, weshalb es höchste Zeit für Nachhaltigkeit ist, warum es trotz allem noch nicht zu spät ist und warum wir mit einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft in Zukunft deutlich weniger auf den Kopf stellen, als wenn man jetzt einfach nichts unternehmen.

«Es gibt Alternativen»

«Ich bezweifle, dass eine globalisierte Branche wie der Tourismus überhaupt eine sinnvolle Zukunftsperspektive hat, wenn er sich nicht viel ernsthafter mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzt», erklärt Dominik Siegrist eingangs. Ihm zufolge setzt sich der Tourismus – sowohl der Incoming-Tourismus in der Schweiz als auch die globale Tourismusindustrie – nicht genügend mit drängenden Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes auseinander. «Es ist der falsche Weg, die wiederkehrenden Warnungen vor den Klimaveränderungen als grüne Fantasie abzutun», so Siegrist, «statt Nachhaltigkeit auf eine Parteifrage zu reduzieren, sollte man in die Zukunft schauen und an die langfristigen Konsequenzen denken.» Insofern seien viele Aktivitäten von Tourismusunternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit zwar durchaus willkommen, aber noch allzu oft «Imagepflege». Das habe leider dazu geführt, dass der Begriff «Nachhaltigkeit» mittlerweile zu einer Worthülse verkommen und in der Kommunikation unbrauchbar geworden sei.

Was ist denn zu tun? «Rahmenbedingungen müssen verändert werden, um die Ziele des Pariser Klima-Abkommens zu erreichen», fährt Siegrist fort, «doch geht es beileibe nicht darum, das Fliegen oder den Fleischkonsum zu verbieten. In der heutigen Gesellschaft ist Mobilität nicht mehr wegzudenken. Man muss aber den Ausstoss an Klimagasen – v.a. CO2 und Methan – auf null reduzieren. Das ist eine Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft, doch die technischen Lösungen hierzu sind vorhanden bzw. in Entwicklung.  Es gibt bereits viel mehr alternative Lösungen, als wir denken. Aber diese sind noch nicht sichtbar, weil sie sich wegen tiefer Energiekosten am Markt nicht durchzusetzen vermögen.»

Siegrist verweist etwa auf das HSR-Forschungsprojekt «Power to Gas». Hierbei wird Strom – zum Beispiel auch überschüssiger Strom, der schwierig speicherbar ist – verwendet, um Treibstoffe herzustellen. Andere Studien, z.B. der ETH Zürich, zeigen, dass es technisch schon heute möglich wäre, den gesamten Energiebedarf der Schweiz mit erneuerbarer Energie zu decken, inklusive des Ersatzes der fossilen Brennstoffe. Dazu wäre allerdings eine konsequente Nutzung der Dächer und Fassaden für die Photovoltaik nötig. «Zuerst müssen wir unsere Energiepolitik so ändern, wie es die vom Stimmvolk beschlossene Energiestrategie 2050 vorgibt», so Siegrist. Diese sieht massive Reduktionen des Klimagas-Ausstosses bis 2035 vor, ohne dass bisher die hierfür notwendigen politischen Entscheide vorliegen.

Als politisches Instrument greift er dabei gemeinsam mit einem überparteilichen Bürgerkomitee zum Mittel der Volksinitiative: Unter dem Dach des Vereins «Klimaschutz Schweiz» ist man daran, die so genannte «Gletscherinitiative» auf die Beine zu stellen. Diese sieht vor, dass sich die Schweiz gesetzlich verpflichtet, die Ziele des Pariser Übereinkommens in der Verfassung zu verankern. Konkret würde dies einen Ausstieg aus der Nutzung von fossilen Energieträgern – also Öl, Gas und Kohle – bis Ende 2050 bedeuten. Noch ist der definitive Text der Initiative in Ausarbeitung, lanciert werden soll sie im Januar 2019. Aktuell lotet der Verein aus, wie stark sich auch die Wirtschaft für ein solches Vorhaben gewinnen lässt – dabei eben auch die Tourismuswirtschaft.

«Die Schweiz hat zwar mitgeholfen, das Pariser Abkommen auszuarbeiten. Aber insgesamt bewegt sich die Schweiz klimapolitisch aktuell zu wenig», moniert Siegrist, «hier möchten wir Initiantinnen und Initianten mit der Gletscher-Initiative Druck klimapolitischen aufsetzen.» Die Dringlichkeit des Problems sei vielerorts noch nicht klar genug. Touristisch gesprochen: Viele Bergtäler müssten infolge mit Bergstürzen rechnen. Und durch das Abschmelzen der Polkappen steigt nachweislich der Meeresspiegel, was für (touristisch äusserst beliebte) Weltregionen wie die Malediven, Florida, Bangkok und andere unterschiedliche Folgen haben wird.

Die Schweiz – und der Schweizer Tourismus – sollen ein Signal setzen

Mit der Gletscher-Initiative will der Verein in Gesellschaft und Wirtschaft eine schweizweite Klimaschutz-Bewegung in Gang bringen. Diese wird von der Politik Taten statt Worte einfordern, damit das Klima ernsthaft geschützt und die Erderwärmung auf ein Mass begrenzt werden kann, das unser Planet verkraftet. Es gehe dort darum, Signale zu setzen und, warum nicht, die Schweiz auch als Pionierin in Sachen Klimaschutz zu positionieren. Die Schweiz wird damit nicht alleine bleiben, denn bereits seien in anderen Ländern wie z.B. Schweden ähnliche Bewegungen im Gang.

Auch der Schweizer Tourismus habe dabei die Chance, sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu positionieren. Wieso gibt es in der Schweiz keine klimaneutralen Skigebiete? Wieso werden Hotels und Ferienwohnungen nicht konsequent auf Minergie- und Passivhaus-Standard umgerüstet? Warum setzt der Tourismus nicht stärker auf den öffentlichen Verkehr, wo doch Stau und Lärm erwiesenermassen die Ferienqualität beeinträchtigt. Und warum fristen die regionalen Produkte in der Gastronomie immer noch ein Mauerblümchendasein und werden stattdessen Weine aus Übersee und exotische Früchte aufgetischt?

Das Einschwenken sowohl von Politik, Wirtschaft als auch von der Bevölkerung auf den Klimaschutz könne man nur im konstanten Dialog erreichen. Besonders wichtig sei es aufzuzeigen, dass ein gutes Leben und ein guter Tourismus auch in einer Welt ohne fossile Energien möglich sind. Es brauche Bilder und Geschichten, wie 2050 unsere Mobilität und unser Reisen aussehen. Wie wir uns zukünftig ernähren, wie wir wohnen und arbeiten. Bis die Gletscher-Initiative zustande kommt und zur Abstimmung gelangt, dürften noch mehrere Jahre vergehen. Wie die öffentliche Meinung dann aussieht, und welche Klimaereignisse bis dann noch Öffentlichkeitswirkung haben, weiss niemand. Siegrist ist aber überzeugt, dass die heute noch als zu radikal und unrealistisch rezipierte Initiative von einer breiten Koalition aus Gesellschaft und Wirtschaft getragen und damit mehrheitsfähig werden kann.


(Literaturhinweis: Marcel Hänggi – Null Öl, null Gas, null Kohle. Wie Klimapolitik funktioniert. Zürich 2018.)