Cruise

Das Bild zeigt den getöteten Eisbären, dessen gewaltsames Ableben die Gemüter erzürnt. Bild: Youtube.

Einwurf Heuchlerische Kritik am Expeditions-Tourismus

Linda von Euw

Nachdem Crew-Mitglieder der «MS Bremen» in Spitzbergen einen Eisbär erschossen haben, muss die verantwortliche Reederei Hapag Lloyd viel Kritik einstecken. Müssen sich Expeditions-Touristen nun wirklich schämen?

Am Samstag kam es im Svalard-Archipel/Spitzbergen zu einem tragischen Zwischenfall: Ein Crew-Mitglied des Expeditions-Kreuzfahrtschiffs MS Bremen wurde während der Vorbereitungen zu einem Landgang von einem Eisbär angegriffen. Das Tier liess sich von den anderen drei anwesenden Crew-Mitgliedern nicht verscheuchen, woraufhin einer die Waffe zückte und den Eisbär erschoss.

Der attackierte Mann musste mit schweren Kopfverletzungen ins Spital geflogen werden, ist aber mittlerweile in stabilem Zustand. In den sozialen Medien ist der Aufschrei gross: Über die betroffene Reederei Hapag Lloyd geht ein regelrechter Shitstorm nieder. Warum müssen Touristen in den Lebensraum der Tiere vordringen, weshalb wurde der Eisbär erschossen und nicht betäubt, warum sind solche Cruises überhaupt notwendig – das sind nur einige der Stimmen, die sich auf Twitter & Co. zum Vorfall äussern.

Die Gretchen-Frage lautet: «Wie hast du es mit Tierbeobachtungen?»

Hapag Lloyd verteidigt sich in einem Facebook-Statement: Anlandungen in Spitzbergen seien nur an wenigen Stellen möglich und diese würden nicht den Beobachtungen der Eisbären dienen. Die Tiere würden nur aus sicherer Entfernung von Bord des Schiffs aus beobachtet. Für die Vorbereitung eines Landgangs würden immer erst die obligatorischen und speziell ausgebildeten und bewaffneten Eisbärwächter an Land gehen, um sich zu vergewissern, dass kein Tier in Sicht sei. Wenn sich ein Tier nähere, werde der Landgang sofort abgebrochen. Der angreifende Eisbär sei unerwartet aufgetaucht und habe zum Schutz des Lebens des entsprechenden Crew-Mitglieds getötet werden müssen.

In der Beschreibung der Reise, heisst es auf der Website der Reederei: «Die Chancen stehen gut, dass Sie bei Ihrer Spitzbergen-Expedition immer wieder Eisbären sichten. Geschützte Fjorde und Eisschollen sind bevorzugte Jagreviere des Ursus maritimus (...). Die erfahrene Crew reagiert spontan und dreht bei, um Ihnen unvergessliche Tierbeobachtungen zu ermöglichen.»

Aber lassen wir diese vielleicht leichte Diskrepanz zwischen den Statement und der Reisebeschreibung ausser Acht und widmen uns der Gretchen-Frage: «Wie hast du es mit Tierbeobachtungen?» Und bei einer ehrlichen Antwort muss sicherlich mehr als eine Handvoll Reisender zugeben, schon einmal eine Safari, eine Walbeobachtungstour, einen Tauchgang mit Haien oder eben auch eine solche Expeditionskreuzfahrt unternommen zu haben. Denn der aktuelle Eisbär-Vorfall ist sprichwörtlich nur die Spitze des Eisbergs.

Was ist mit Safaris, mit Walbeobachtungstouren oder Tauchgängen mit Haien?

Auf Safaris in Afrika fahren Jeeps mit offenem Verdeck durch die Parks, nicht selten gesellt sich bei einer Beobachtungspause ein Gepard dazu, der auf der warmen Motorhaube ein Nickerchen macht. Die Insassen des Autos machen begeistert Fotos. Klar, die Tiere sind sich solche Situationen wahrscheinlich gewohnt. Aber eine Garantie, dass das Tier nicht doch plötzlich Lust auf einen kleinen Snack verspürt, gibt es nicht. Oder was ist mit den Surfern, die beispielsweise in Australien vor den Küsten die Wellen reiten? Sind da nicht auch immer Haie mit dabei? Und wird da nicht auch ab und zu einer mit einer Beute verwechselt und «probegebissen»? Die Haie waren auch zuerst da, genauso wie die «Big Five» oder eben die Eisbären, die viele Reisende einmal im Leben in freier Wildbahn beobachten möchten.

Wer nun argumentiert, dass Reedereien wie Hapag Lloyd auf das Anbieten solcher Expeditionsreisen verzichten sollten, der sollte vielleicht ein wenig weiter denken und sich vor allem zuerst einmal ehrlich selber hinterfragen, wie sein eigenes Reise- oder Freizeitverhalten ist. Dass man nicht unbedingt auf einen schwächlichen Touristen-Esel im jordanischen Petra sitzen soll: einverstanden. Elefantenreiten in Asien? Muss nicht sein. Shows mit Tieren in Wasserparks? Kann man kippen. Aber Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten? Das sollte jedem freigestellt sein. Solange man nicht auf die Idee kommt, Löwen zu streicheln oder mit Nilpferden im Fluss zu baden.

In der Schule lernte ich: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Und die Nachfrage nach solchen Touren ist unbestritten da und gross. Sollte man sich in Zukunft wirklich dafür schämen müssen, eine solche Erlebnisreise gebucht zu haben? Entscheiden Sie selber.