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Die MSC Seaside, das bisher grösste in Italien erbaute Passagierschiff, wagt sich in den hartumkämpften nordamerikanischen Cruise-Markt. Bilder: Thomas P. Illes

MSC Seaside und der Aufbruch nach Amerika

Thomas P. Illes

Die MSC Seaside, für die Fachwelt der spannendste Kreuzfahrtschiff-Neubau des Jahres, wurde feierlich in Dienst gestellt. travelnews.ch war mit an Bord.

Sie mag noch etwas abseits der touristischen Massenströme liegen, ist aber schön und eine Reise wert: die norditalienische, an der oberen Adria gelegene Hafenstadt Triest. Wer etwa dem Overtourism des knapp zwei Auto- oder Bahnstunden entfernten Venedigs aus dem Weg gehen will, wird unter anderem mit dem direkt am Meer gelegenen imposanten Hauptplatz, der Piazza dell’Unità d’Italia und seinen umliegenden neoklassizistischen Palazzi entschädigt.

Mitte dieser Woche schickte sich jedoch eine «Sehenswürdigkeit» ganz anderer Art an, den historischen Prachtbauten die Show zu stehlen: die soeben von der 30 Kilometer entfernten Fincantieri Werft in Monfalcone fertiggestellte MSC Seaside, das bislang grösste in Italien erbaute Passagierschiff, machte anlässlich ihrer Präsentation vor der Lokalbevölkerung sowie den aus aller Welt angereisten Vertriebspartnern und Pressevertretern am zentral gelegenen Kreuzfahrtterminal fest und sorgte mit ihrem futuristischen Äussern – insbesondere ihrer eher an eine South Beach Condo in Miami als an ein Schiff erinnernde Heckpartie – während zwei Tagen für einen schon fast surrealistisch anmutenden Kontrapunkt.

Expansion nach Nordamerika

Das ungewöhnliche Design ist, wie Pierfrancesco Vago, Executive Chairman von MSC Cruises während den Projektierungs- und Bauphasen der letzten Jahre wiederholt und auch letzten Donnerstag an der Presskonferenz im Metropolitan Theater an Bord erneut herausstrich, durchaus gewollt. Es sei, so Vago, zentraler Teil einer Strategie, nun auch im hart umkämpften nordamerikanischen Kreuzfahrtmarkt, wo MSC Cruises noch nicht so bekannt sei, erfolgreich Fuss zu fassen: «Uns ist bewusst, dass wir im US-Markt the last Kid on the Block sind, mit unserem revolutionären Seaside-Konzept werden wir ein aufsehenerregendes Zeichen und uns wirkungsvoll in Szene setzen».

Und Gianni Onorato, CEO MSC Cruises, doppelte nach: «Etliche Reedereien legen keinen besonderen Wert auf das Äussere ihrer Schiffe – wir hingegen schon». Dass es der schweizerisch-italienischen Reedereigruppe, die ihren Hauptsitz seit 1978 in Genf hat, Ernst ist mit der Expansion nach Nordamerika, wird auch durch die Tatsache untermauert, dass mit «Seaside» erstmals nicht mehr ein italienischer, sondern ein englischer Schiffsname gewählt wurde...

Das Schiff, das der Sonne folgt

Selbstverständlich liegen dem innovativen Design aber nicht nur ästhetische Überlegungen zugrunde. Denn im Gegensatz zur im Juni in Le Havre getauften, mehr Innenraum-orientierten und daher auch für kältere Regionen geeigneten MSC Meraviglia, sind die MSC Seaside und das anfangs Juni 2018 in Fahrt kommende Schwesterschiff MSC Seaview, welche übrigens die ersten von MSC in Italien bestellten Schiffe sind – alle anderen Passagierschiffsneubauten der Reederei stammten bislang aus Frankreich – als Schönwetterschiffe, «die der Sonne folgen» konzipiert.

Anders als die Meraviglia verfügt die Seaside nicht über eine knapp hundert Meter lange Innenpromenade als zentralen Treffpunkt und Begegnungsort des Schiffs. Vielmehr und als Novum für ein Mainstreamschiff dieser Grösse – mit einer Vermessung von 153.516 BRZ bietet MSC’s neustes Flaggschiff Platz für maximal 5.179 Passagiere (4.132 bei Zweierbelegung) – ist das gesamte Design darauf ausgelegt, dass jeder Aspekt des Bordlebens auch im Freien stattfinden kann: von den zahlreichen der 2066 Kabinen und Suiten mit Aussenflächen (bei einige Suiten gar mit eigenem Whirlpool) über Freiluftrestaurants bis zu zahlreichen Optionen für Outdoor-Fitness. Augenfälligstes Merkmal: die um das Schiff herumführende extrabreite Aussenpromenade auf Deck 8 sowie die weitläufigen Aussendecks am Heck und in den oberen Schiffsbereichen.

Ist man noch auf dem gleichen Schiff...?

Zwar waren es Reedereien wie NCL, Costa oder Aida, die mit ihren jüngsten Neubauten den Anfang machten, das in Sachen Gewinnmaximierung bislang eher brachgelegene Promenadendeck etwas auszuweiten und/oder mit Bar- sowie Restaurantangeboten zu ergänzen. MSC’s Seaside-Klasse geht hier nun aber nochmals einen gewichtigen Schritt weiter. So breit und über den Rumpf hinausragend präsentieren sich die Aussendecks bisher nirgends. Zum einen wird damit eine (von der Reederei angestrebte – der Test im Schönwetter-Praxisalltag und unter Vollauslastung steht allerdings noch aus) bessere Verteilung der Passagierströme sowie die Vergrößerung der nutzbaren Fläche mit einer damit einhergehenden, abermals gesteigerten Gewinnoptimierung ermöglicht. Zum anderen ergeben sich für die Gäste auch spektakuläre neue Blickwinkel mit mehr Nähe bzw. Sicht zum/aufs Meer.

Bei einem ersten Rundgang, im Hafen liegend und unter äusserst garstigen Wetterbedingungen mit entsprechend verwaisten, zum Teil unter Plastikplanen liegenden Freilufteinrichtungen (nichts da mit «O sole mio» – auch in Italien kann es Ende November bereits sehr kühl, sehr nass und sehr windig sein...), stellte sich zuweilen in der Tat die Illusion ein, sich gar nicht mehr auf dem gleichen Schiff zu befinden, sondern die Aufbauten vom benachbarten Kai aus zu betrachten – eine Perspektive, wie sie bislang noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff zu erleben war.

Windschutz als Spielverderber

Möglich wurde diese Bauweise nur dank Fortschritten und Innovationen im Schiffbau sowie den daraus folgenden Weiterentwicklungen im Schiffsdesign, die keineswegs trivialer Natur sind. Im Gegensatz zu landgestützten Gebäuden lässt sich in der Schifffahrt aufgrund von Restriktionen in Bereichen wie Stabilität, Navigation, Sicherheit, Wetter, Logistik, Umwelt oder Hafenanlagen längst nicht alles bauen, was man bauen will.

Einen Wermutstropfen gilt es trotzdem zu vermerken: im Gegensatz zu etlichen älteren Schiffen, die noch mit einer traditionellen Reling auf ihren simplen Aussendecks auskommen, schränkt der verglaste, in weiten Teilen fast mannshohe Windschutz der erweiterten Promenade und Aussenbereiche (ohne diesen wären zusätzliche Lounge- und Restaurantbereiche im Freien kaum zu realisieren) die freie Sicht und die propagierte «Tuchfühlung mit dem Meer» doch erheblich ein. Zwar ist diese Verglasung auf der Seaside weniger hoch ausgefallen, als beispielsweise auf der AIDAprima oder AIDAperla. Doch zum Fotografieren müssen sich auch hier selbst grösser gewachsene Menschen ordentlich strecken, um mit der Kamera oder dem Handy über die obere Umrandung zu gelangen. Zudem ist so ein ungestörtes Beobachten der Wellen sowie Fühlen des Windes inklusive salziger Gischt auf der Haut – für viele Naturliebhaber (von denen es unter den Kreuzfahrern doch auch etliche geben soll) ein gewichtiger USP einer Seereise – leider fast nirgends mehr möglich. Auch hat man von etlichen Balkonkabinen nicht mehr direkte Sicht auf das Meer unter sich, sondern primär auf die breite Promenade.

Glasbrücken, Seilrutschen sowie interaktive Doppelrutsche

Sicher werden das aber längst nicht alle Gäste als Einschränkung wahrnehmen, wartet das Schiff doch mit einer Reihe weiterer Attraktionen auf, die man sich gerne unter wärmender, karibischer Sonne mit Sicht aufs türkisblaue Meer vorstellt. Highlights finden sich unter anderem in Form je einer Outdoor-Glasbrücke pro Schiffseite als Teil der Promenade, zweier Panoramaaufzüge sowie der «Bridge of Sighs» am Heck, letztere ebenfalls eine Brücke mit Glasboden – allerdings in 40 Metern Höhe, der mit 120 Metern längsten Seilrutsche auf See oder eines umfangreichen Aqua-Parks mit unter anderem einer interaktiven 160 Meter langen Doppelrutsche namens «Slideboarding», welche laut Reedereiangaben über Gaming-Komponenten verfügen soll (die Rutsche war für Testzwecke ebenfalls noch nicht in Betrieb) sowie zweier Wasserspielbereiche speziell für Kinder. Kids & Teens werden sich an Bord ohnehin wohlfühlen. MSC ist bekannt für ihre Familienfreundlichkeit, entsprechend bietet die Seaside zahlreiche neue Entertainment-Angebote: neben ganztägiger Kinderanimation und sechs speziellen, altersgerechten Baby und Kids Clubs gibt es unter anderem ein Familienkino sowie ein actiongeladenes Quiz.

Wie auf der Meraviglia erfuhr im Vergleich zu den Vorgängerschiffen auch die gastronomische Auswahl auf der Seaside eine Erweiterung, wobei das Hauptaugenmerk hier gemäss dem vorgesehenen Einsatzgebiet in wärmeren Gefilden ebenfalls auf ein aussen-orientiertes Angebot abzielt. Insgesamt stehen zwei Haupt-, zwei Buffetrestaurants, sechs (zuzahlpflichtige) Spezialitätenrestaurants sowie 17 Bars/Lounges zur Verfügung. Besonders erwähnenswert: neben dem wie üblich achtern auf dem Pooldeck (Deck 16) gelegenen Selbstbedienungsbuffets gibt es neu ein zweites im unteren Heckbereich nahe dem Meer auf Deck 8 mit zusätzlichen Aussenplätzen auf der Promenade.

Erweitert wurde auch der MSC Yacht Club. Wie auf der Meraviglia verfügt dieser nun – endlich – auch über sein eigenes Restaurant. Es ist also nicht mehr, wie noch auf der Fantasia-Klasse erforderlich, sich für jede Mahlzeit vom vorderen Bereich über der Kommandobrücke gelegenen Yacht Club annähernd die ganze Schiffslänge – immerhin fast 300 Meter – nach hinten in das für die Gäste des Yacht Clubs reservierte Restaurant zu begeben.

Seaside – wegweisendes Design auch für andere Reedereien

Das Design des Seaside-Prototyps stammt übrigens in wesentlichen Teilen nicht von MSC, sondern von Maurizio Cergol, Fincantieri’s Senior Chief Designer. Bei der weiteren Vermarktung ihres Schiffsentwurfs gelangen der Werft in letzter Zeit einige bemerkenswerte Erfolge. So tragen auch die zukünftigen, etwas kleineren und als «revolutionär» angekündigte Neubauten (geplante Ablieferung ab 2020) von Sir Richard Branson’s Virgin Voyages sowie die zukünftige Bauserie von NCL’s «Projekt Leonardo» (ab 2022) unverkennbar Cergol’s Handschrift.

Dessen ist sich auch Pierfancesco Vago bewusst, was aber seinen Stolz auf die Seaside-Klasse keinesfalls zu schmälern vermag. In Zukunft, so Vago, würden wir zwar eine Menge neuer Schiffe mit ähnlichem Design sehen, doch die MSC Seaside sei und bleibe «the leading ship».

Dem Selbstbewusstsein und Vertrauen der Reederei in diesen Schiffsentwurf verlieh Vago zusätzlich Nachdruck, indem er nochmals auf die bereits tags zuvor kommunizierte Umwandlung der ursprünglich für ein drittes Seaside-Schiff vorgesehenen Option in eine Festbestellung für zwei zusätzliche, weiter entwickelte und ca. zehn Prozent grössere «Seaside EVO»-Schiffe (EVO für EVOlution) im Auftragswert von 1,8 Milliarden Euro mit Ablieferungsdatum 2021 und 2023 hinwies. Damit steigert sich das dieses Jahr im Frühsommer mit der Ablieferung der MSC Meraviglia und letzten Donnerstag erfolgten Indienststellung der MSC Seaside seinen Anfang genommene massive Investitionsprogramm auf ein branchenweit einzigartiges Bestellvolumen bis 2026 von 12 neuen Schiffen im Gesamtwert von 10,5 Milliarden Euro.

Die MSC Seaside ist nun unterwegs zu ihrem Heimathafen Miami, wo sie am 21. Dezember eintreffen und feierlich getauft werden wird. Danach wird sie abwechselnd 7-Nächte-Kreuzfahrten in die östliche und westliche Karibik unternehmen.

Und vielleicht auch eine Prise Triest an den Atlantik sowie die karibischen Strände tragen...


MSC und das Thema Umwelt

Interessant und bemerkenswert bei an der an Bord der MSC Seaside durchgeführten Pressekonferenz war unter anderem, dass Pierfrancesco Vago, Executive Chairman von MSC Cruises, nun explizit und für MSC-Verhältnisse recht detailliert auch auf einzelne Aspekte der zum Einsatz gelangenden Umwelttechnik zukünftiger Neubauten einging. Das kannte man von MSC so bislang nicht und hat wohl auch mit der diesbezüglich in der Pipeline stehenden Verschärfung der gesetzlichen Umweltvorschriften für Schiffsneubauten zu tun.

So erfuhr man beispielsweise, dass die neue «Seaside EVO-Klasse» zwar nicht, wie die vier bei STX im französischen St. Nazaire bestellten, ab 2022 abzuliefernden Einheiten der «World Class» für einen Betrieb mit Flüssigerdgas (LNG – Liquefied Natural Gas) vorgesehen sind, dafür aber neben einem umfangreichen Abgasreinigungssystem zur Reduzierung des Schwefel- und Partikelausstosses (so genannten Scrubbern) zusätzlich auch mit SCR-Katalysatoren zur Reduzierung des Ausstosses von Stickoxid ausgestattet werden sollen. Weltweit fahren im Moment nur die Neubauten von TUI Cruises sowie die Europa 2 von Hapag-Lloyd Cruises mit einem solchen Katalysator.

Im Gespräch mit travelnews.ch bestätigte Bud Darr, MSC’s Group Executive Vice President Maritime Policy and Government Affairs – ein in Umwelt- und Regulierungsbelangen äusserst erfahrener und kompetenter Mann, der erst vergangenen Juli zu MSC stiess und davor als Senior Vice President, Technical and Regulatory Affairs beim Branchenverband CLIA (Cruise Lines International Association) amtete –, dass «Pierfrancesco Vago der Umwelttechnik sehr hohe Priorität einräume, man alle möglichen Optionen zur nachhaltigen Verbesserung der Umweltbilanz sorgfältig und umfassend prüfe und dass diesbezüglich demnächst mit weiteren News zu rechnen sei».

(TPI)