Cruise

Arzt auf einem Kreuzfahrtschiff zu sein, ist für viele ein Traumjob - birgt aber auch viele Herausforderungen. Bild: Fotolia.

«Ich habe ein Kreuzfahrtschiff vom Kurs abgebracht»

Linda von Euw

Ein Schiffsarzt erzählt von seinen Erlebnissen während seiner Einsätze auf den Weltmeeren. (Teil 1/2)

Die Augen des Schiffsarztes (Name der Redaktion bekannt) blitzen voller Schalk hinter seiner runden Brille hervor. Mit seinen 59 Jahren hat er schon beinahe die ganze Welt gesehen. Diese Tatsache hat er vor allem seinem Job zu verdanken: Jedes Jahr begleitet er als Schiffsarzt für rund acht Wochen mehrere Kreuzfahrten einer Luxus-Reederei. Er ist ausgebildeter Facharzt für Innere Medizin, arbeitet teils in der Schweiz, betreibt daneben eine Hausarztpraxis in Süddeutschland – seiner Heimat – und war früher Notarzt bei den SOS-Ärzten.

Der Arzt bezeichnet sich selber als Tausendsassa. Aufs Schiff kam er per Zufall – eine Ärztekollegin, die für die Reederei tätig sei, habe ihn vor rund sieben Jahren auf die Idee gebracht. «Ich dachte mir: Flugzeuge kenne ich, Helikopter kenne ich – vom Leben auf dem Wasser habe ich keine Ahnung», erzählt er. Also habe er mit wenig Hoffnung auf Erfolg einen Dreizeiler an die Reederei geschickt. Den Wortlaut kann er noch immer zitieren: «Ich bin zwar eine süddeutsche Landratte, glaube ansonsten aber ausreichend qualifiziert zu sein und schwimmen kann ich auch.»

«Kapitäne und Ärzte sind bereits seit der Navy-Zeit keine Freunde»

Zwei Wochen später folgte die Einladung zum Vorstellungsgespräch nach Deutschland. «Nach weiteren drei Wochen – das war im November – kam die Anfrage, ob ich im Januar den ersten Einsatz leisten könne. Der eingeplante Arzt sei ausgefallen.» Dann ging alles ganz schnell. Anfang Dezember musste der zukünftige Schiffsarzt zum zehntägigen Ausbildungskurs antreten: «Ich musste im Hafen bei 2 Grad Wassertemperatur über 90 Minuten lang rumschwimmen und Rettungsübungen absolvieren.» An sein erstes Schiff erinnert er sich ganz genau: «Das war ein Expeditionsschiff mit Eisklasse.»

Die Arktis, die Nordwestpassage und Spitzbergen kennt der Wahlschweizer mittlerweile wie seine Westentasche. Er sei auch mehr der Expeditionstyp und versuche, wann immer möglich die Exkursionen mitzumachen. Mittlerweile habe er den Bootsschein, sodass er selber eines der Zodiacs steuern könne. Abgesehen davon, dass er von Bord komme, habe das einen weiteren Vorteil: «Der Kapitän ist froh, wenn der Schiffsarzt mal von Bord geht», sagt der Vielgereiste lachend. Denn Kapitäne und Ärzte würden sich schon seit der englischen Navy-Zeit kabbeln. Der Arzt hat darüber viel gelesen und weiss: «In der Navy sagt man ‚nach dem Kapitän kommt nur noch Gott‘.» Mittlerweile verstehe er sich zwar mit allen Kapitänen gut, aber die Begrüssung von seinem ersten Kapitän bleibe unvergessen: «Er hat mich nach drei Tagen in seine Kajüte zitiert und sagte: Dass Sie es gleich wissen, ich mag keine Ärzte! Sie machen, was sie wollen, ich kann sie nicht kontrollieren und was mir am meisten stinkt: Ohne mich kann der Kahn auslaufen, aber nicht ohne den verdammten Doktor.»

Das ist tatsächlich so: Ein Schiff darf ohne Kapitän auslaufen, aber nicht ohne Schiffsarzt. Der Kapitän kann dem Arzt zwar Vorschriften machen bei allem, was die Sicherheit und das Schiff angeht. Aber bei medizinischen Themen hat der Arzt das Overwriting-Recht. Vor einem Jahr habe er es in Anspruch genommen und ein Kreuzfahrtschiff vom Kurs abgebracht.

Die Umleitung des Schiffes hat 150'000 Euro Extra gekostet

Der Arzt erklärt: «Wir waren gerade in Pitcairn, da wo die Bounty liegt. Ich musste zwei Patienten von dort mitnehmen, da der Arzt mit seinem Latein am Ende war und das nächste Postschiff erst in vier Monaten erwartet wurde. Da hatte ich plötzlich selber einen schweren Notfall an Bord. Wir waren mitten auf dem Pazifik – 3500 Meilen bis Chile, 3500 Meilen bis Tahiti. Da kommt kein Flugzeug und kein Helikopter, weil es einfach zu weit weg von allem ist.» Er habe das Schiff dann nach Tahiti beordert.

Solche Umleitungen bedeuten nicht nur für die Passagiere das Aus der Reise, sondern sind auch ziemlich kostspielig. Der Chefingenieur kam in Tahiti auf den Arzt zu und konstatierte: «Du hast gerade 90‘000 Euro an Diesel zusätzlich rausgehauen und 60‘000 Euro ausserordentliche Hafengebühr verursacht.» Bezahlen musste das natürlich nicht der Doktor: Für solche Fälle besitzt die Reederei eine Versicherung.

Lesen Sie morgen: Die schlimmsten medizinischen Notfälle, dieder  Doktor an Bord behandeln musste – und ob sich der Job als Schiffsarzt finanziell lohnt.