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Höchstens 100 Besucher dürfen sich zeitgleich an einem Landepunkt auf dem antarktischen Festland befinden. Bilder: KET

35'000 Touristen in der Antarktis – ist das vertretbar?

Thorsten Keller

Die Organisation einer Antarktis-Expedition erfordert ein Höchstmass an ökologischer Sensibilität. Hurtigruten-Expeditionsleiter Tudor Morgan erklärt im Interview den schmalen Grat, den sein Team beschreitet.

Herr Morgan, touristische Aktivitäten in der Antarktis sind ein zweischneidiges Schwert, die Südpolarregion gehört zu den sensibelsten Ökosystemen der Erde.

Tudor Morgan (Bild): Es gibt von der IAATO Richtlinien für die Durchführung von Bootsanlandungen und Richtlinien für den Aufenthalt an touristisch interessanten Orten. Alle Veranstalter, die Antarktisreisen anbieten, müssen diese Richtlinien umsetzen. Sie sind ein Bestandteil des Antarktisvertrages.

Und damit ein Teil nationaler Gesetzgebung…

Nicht nur das, sondern auch von Zertifizierungsprozessen, die Reiseveranstaltern erst ermöglichen, in der Antarktis zu operieren. In dieser Saison dürfen 32 Schiffe Reisen in der Antarktis anbieten. Viele Schiffe sind nur zu einer Reise unterwegs, andere zu zehn. Die grosse Herausforderung ist es, die Unversehrtheit der natürlichen Lebensräume und den Schutz der Artenvielfalt vor Ort zu gewährleisten. Dazu gehört nicht nur, dass man mit möglichst umweltfreundlichen Schiffen agiert und an Bord ein Abfallmanagementsystem vorweist. Es muss auch Notfallpläne und Sicherheitsvorkehrungen geben für den Fall, dass es vor Ort zu einem Unfall kommt, der das Ökosystem Antarktis bedrohen kann.

Jährlich besuchen rund 35'000 Touristen die Antarktis, 20'000 Menschen landen dort an. Sind diese Zahlen aus ökologischer Sicht vertretbar, oder sind dies für diese Region schon zu viele Touristen?

Die Reisesaison in der Antarktis läuft von November bis Mitte März, und wir sprechen über eine Gesamtbesucherzahl, die vergleichbar ist mit der Zahl der Besucher eines mittelgrossen Fussballstadions in Europa an einem Samstagnachmittag. Bricht man dies auf die Zahl der Orte herunter, die in der Antarktis über viereinhalb Monate verteilt besucht werden, ist die Belastung überschaubar.

Einige der Sehenswürdigkeiten, die mit Landebooten angefahren werden, sind Gletscher. Wie garantieren Sie die Sicherheit der Passagiere – beispielsweise, wenn Teile des Gletschers abbrechen und ins Wasser stürzen?

Für jede Annäherung an eine Eisfront – sei es an einen Gletscher oder an einen Eisberg – schreibt die IAATO einen Mindestabstand von 200 Metern vor. In der Praxis werden heute oft auch 400 Meter Distanz gehalten. Die Landeboote selbst sind mit Entfernungsmessern ausgestattet.

«Die Pinguine haben in ihrem natürlichen Lebensraum immer Vorfahrt»

Die populärsten Landausflüge in der Antarktis führen zu Pinguinkolonien. Welcher Verhaltenskodex gilt hier für Passagiere?

Bei allen Anlandungen gilt, dass jegliche Störung der Wildtiere in ihrem natürlichen Lebensraum vermieden werden muss. Die Richtlinien schreiben einen Mindestabstand von fünf Metern vor. Ausserdem haben die Pinguine in ihrem natürlichen Lebensraum immer Vorfahrt. Sie haben sich ihr eigenes Wegenetz geschaffen, und wenn wir Menschen diese Wege kreuzen, müssen wir Rücksicht nehmen.

Wie verändern sich die Erlebnisse für Kreuzfahrtpassagiere in der Antarktis mit der fortschreitenden Saison?

Von Monat zu Monat führen die Expeditionen weiter nach Süden. Im November ist alles unberührt und die Pinguine kehren zurück. Im Dezember sehen wir brütende Pinguine und bald die ersten Jungtiere. Danach kommt die beste Zeit, um entlang der Route Wale zu beobachten. Im März starten die jungen Pinguine ihre ersten Schwimmversuche. Gleichzeitig werden die Bedingungen zu dieser Zeit, wo es auf den antarktischen Winter zugeht, schon rauer.

Sie selbst betreuen von Mai bis September Kreuzfahrt-Expeditionen in arktischen Gewässern. Welches sind die Unterschiede zur Antarktis?

Den grössten Unterschied machen die Eisbären aus, die natürlich ganz andere Sicherheitsvorkehrungen für unser Team und für die Passagiere mit sich bringen. Ausserdem arbeiten wir in der Arktis mit dort lebenden indigenen Bevölkerungsgruppen zusammen, die wir in unsere Aktivitäten mit einbeziehen. Zu vielen Eingeborenen ist im Laufe der Jahre ein sehr enges Verhältnis gewachsen. Es ist immer wieder faszinierend, an einen Ort zurückzukehren und nachzuvollziehen, welche Entwicklungen es seit dem letzten Besuch vor Ort gegeben hat.