Cruise

Die Crystal Endavor im Hafen von Reykjavik: Die Reederei steht vor einer unsicheren Zukunft. Bild: Crystal Cruises

«Die Genting-Insolvenz wird einen Reputationsschaden der Kreuzfahrtbranche hervorrufen»

Jean-Claude Raemy

Wie weiter für die Reedereien Crystal Cruises, Dream Cruises und Star Cruises nach der Insolvenz-Anmeldung der Muttergesellschaft Genting Hong Kong? Travelnews hat bei Kreuzfahrt-Experte Thomas P. Illes nachgefragt und von diesem mögliche Szenarien und übergeordnete Konsequenzen der Pleite erfahren.

Thomas P. Illes

Letzte Woche wurde bekannt, dass die Firma Genting Hong Kong, die Muttergesellschaft der insolventen MW Werften, selber ebenfalls Insolvenz angemeldet hat (Travelnews berichtete). Zum Portfolio des Unternehmens, welches Teil der malaysischen Genting Group ist, gehören gleich drei Reedereien: Crystal Cruises, Dream Cruises und Star Cruises. Aus europäischer Sicht interessiert vor allem das Schicksal von Crystal Cruses: Die US-Reederei, im Ultra-Luxus-Segment angesiedelt, richtet sich an eine internationale Kundschaft, während die beiden anderen auf den asiatischen Markt ausgerichtet sind - Dream Cruises auf Premium-Kundschaft aus Asien, Star Cruises auf herkömmliche asiatische Kundschaft.

Dennoch interessiert das Schicksal der drei Reedereien generell, denn hier kann es zu einem gewichtigen Shake-Up in der globalen Cruise-Szene kommen. Wie geht es also mit diesen weiter? Travelnews hat beim Wirtschaftsberater, Hochschuldozent und Kreuzfahrtanalysten Thomas P. Illes nachgefragt.

Crystal Cruises

Crystal Cruises ist im internationalen Kreuzfahrtgeschäft und insbesondere im nordamerikanischen Markt sowohl im Hochsee- als auch Flussreisesektor ein hervorragend etablierter und überaus starker Brand mit einem exzellenten Ruf und einer entsprechend loyalen, sich eher an traditionell-klassische Werte orientierende Kundschaft. «Insofern ist ein Verkauf der Marke oder einzelner Schiffe an einen neuen Investor oder ein bestehendes Kreuzfahrtkonglomerat durchaus denkbar», holt Illes aus, gibt jedoch zu bedenken: «Allerdings verfügen die Big Four der Branche im Hochseesegment bereits allesamt über einen eigenen Luxusbrand: Carnival mit Seabourn, Norwegian mit Regent Seven Seas, Royal Caribbean mit Silversea sowie via TUI Joint Venture indirekt auch mit Hapag-Lloyd sowie MSC mit der neu gegründeten Marke Explora Jouneys. Ob hier noch Platz für weitere Schiffe besteht, würde sich weisen müssen, zumal alle Marken bereits mit ihren eigenen Flottenexpansionsprogrammen beschäftigt sind und diese im Zuge der Pandemie verdauen müssen. «Allgemein sind die Wachstumschancen im Luxussegment aber nach wie vor intakt und sehr vielversprechend», glaubt Illes.

Etwas problematisch könnte es laut dem Kreuzfahrtexperten unter Umständen sein, dass die drei Hochseeschiffe von Crystal sehr verschieden sind. Die Crystal Symphony sowie Crystal Serenity sind mit den Baujahren 1995 und 2003 und einer Kapazität von knapp unter bzw. über 1000 Gästen nicht mehr die jüngsten und für Luxusschiffe recht gross. Im Zuge regelmässiger Umbauten, Renovierungen und guten Unterhalts ist die Hardware zwar in einem mustergültigen Zustand. «Inwiefern die Schiffe aber mittels eines wirtschaftlich vertretbaren Aufwands auf sich allfällig verschärfende zukünftige Sicherheits- und Umweltstandards nachgerüstet und an neue Trends im Luxusbereich mit einem damit möglicherweise notwendigen Upgrade der Hardware angepasst werden können, ist eine andere Frage», so Illes. Möglich wäre ein Downgrading vom Luxus- in den Premiumbereich. Eine entscheidende Frage für allfällig neue Eigner oder Betreiber wären natürlich die Kapital- und Betriebskosten, also zu welchen Kosten und Konditionen diese Schiffe zu haben und zu betreiben wären.

Als Perle dürfte das erst letzten Sommer auf dem MV Werften-Standort Stralsund fertiggestellte und von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig getaufte eisverstärkte Expeditionskreuzfahrtschiff Crystal Endeavor mit einer Kapazität von nur 200 Passagieren gelten. Expeditionskreuzfahrten, vor allem in Polarregionen, sind seit ein paar Jahren enorm im Trend. Dazu Illes: «Da kleineren Schiffen mit geringerer Passagierkapazität auf speziellen Routen weltweit trotz – oder gerade wegen – Corona gute Marktchancen zugesprochen werden, könnte das moderne Schiff gut zu einem bestehenden Luxusexpeditionsanbieter passen oder sich als mögliche Ergänzung für einen noch nicht über eigene Expeditionsschiffe verfügende Reederei anbieten.» Aber auch hier bestehe die Herausforderung, dass in den letzten Jahren ein regelrechter Neubauboom von hochwertigen und luxuriösen eisverstärkten Expeditionskreuzfahrtschiffen einsetzte. Diese Schiffe wurden vor der Pandemie bestellt, und nun sind alle Player damit beschäftigt, diesen Kapazitätszuwachs erst einmal gewinnbringend auslasten und betreiben zu können.

Dream Cruises

Völlig gegensätzlich präsentiert sich das Bild bei der am MV Werften-Standort Wismar zu etwa 75 Prozent fertiggestellten gigantischen «Global Dream» des ebenfalls zur Genting-Gruppe gehörenden Kreuzfahrtunternehmens Dream Cruises (Travelnews berichtete erst kürzlich über das potenziell neue, nach Passagierkapazität grösste Kreuzfahrtschiff der Welt). Falls Genting das Schiff nicht abnehmen kann oder will, erscheint fraglich, wer hier für einen solchen nicht mehr zeitgemässen Dinosaurier in die Bresche springen würde.

Es ist davon auszugehen, dass das für den asiatischen Markt ausgelegte Konzept der Global Dream keiner der etablierten grossen amerikanischen oder europäischen Reedereien, welche Schiffe dieser Grösse betreiben und ebenfalls mit Kapazitätszuwächsen in Form etlicher vor der Pandemie bestellten Neubauten beschäftigt sind, so ohne weiteres ins Portfolio passen würde, ohne dass wesentliche Designelemente umfassend umgestaltet und angepasst würden und die Umwelttechnologien aufgerüstet werden müssten. Das wäre in diesem fortgeschrittenen Baustadium zwar nicht unmöglich, aber wohl nur zu prohibitiv hohen Zusatzkosten. «Ein solches Schiff passt schlecht zum gegenwärtigen politischen Klima, in dem nicht wenige im Zuge der Erfüllung der Klimaziele ziemlich lautstark einen entscheidenden Konsum- und Mobilitätsverzicht einhergehend mit einem Verbot von unter anderem auch Kreuzfahrtschiffen fordern», analysiert Illes.

Gerade in Deutschland ist im Sog der Pleite der MV Werften die Debatte neu aufgeflammt. Wirtschaftsliberale Kreise setzen auf staatlich geförderte innovative Zukunftstechnologien, alternative Treibstoffe und mehr, um den Wirtschaftsstandort Deutschland im Zuge der seit geraumer Zeit rege diskutierten Dekarbonisierungsinitiativen – auch in der Hochseeschifffahrt – wieder zu stärken bzw. dessen Relevanz in der Weltwirtschaft zu erhalten und bestenfalls auszubauen. Aber was ist mit Kreuzfahrtschiffen? Es wird schon seit längerem kritisiert, dass sich die deutsche Staatsbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) über ihre 100-prozentige Tochter KfW-Ipex zu einem international führenden Finanzierer von Kreuzfahrtschiffen entwickelt hat. Da die Käufer der Schiffe meist im Ausland sitzen, gewährte die Bundesregierung zur Absicherung der Geschäfte bislang sogenannte Hermes-Bürgschaften. Das Pikante daran: Die wirtschaftlichen Risiken schultert vor allem der deutsche Steuerzahler. Sollten die Kredite ausfallen, bleiben die Schulden an ihm hängen. Argumentiert wird damit, dass von den KfW-Krediten auch die MV Werften profitierten, die sich in wirtschaftlich eher strukturschwachen Regionen befinden und dass ohne den KfW-Kredit und die Hermes-Deckungen der Bundesregierung die Schiffe in China, Frankreich oder Italien gebaut würden.

Diese Kritik kann Illes nachvollziehen, er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die Kreuzfahrt- und Fährindustrie durchaus das Potenzial habe, den eingeschlagenen Weg als Innovationstreiber in Richtung mehr ökologische Nachhaltigkeit weiter zu gehen und mit einer starken deutschen Werftindustrie die dazu notwendigen Technologien Richtung emissionsfreier Schifffahrt konsequent weiterzuentwickeln. «Damit könnte man der fernöstlichen Konkurrenz Paroli bieten, Arbeitsplätze sichern und als positiver Signalgeber für eine generell grünere Schifffahrt agieren», so Illes. Das passt auch in gegenwärtige politische Agenda. Die Krise rund um die Pandemie kann und muss hier wohl durchaus als die viel zitierte Chance verstanden werden – Corona kann auch als «Nachhaltigkeitsbooster» verstanden werden.

Das gehe aber nur mit Zukunftstechnologie und überzeugenden, innovativen Konzepten, wie sie etwa die Papenburger Meyer Werft vorantreiben will («von MV Werften ist diesbezüglich nicht viel bekannt», sagt Illes), sicher aber nicht mit einem aus der Zeit gefallenen «Neubau-Dinosaurier» ohne nennenswerte oder zumindest nicht mehr zeitgemässe Umwelttechnologie, wie sie auf der Global Dream vorgesehen sei. Zudem stellt sich die Frage des Verkaufspreises: Falls die Not bei MV Werften gross genug wird, um das Schiff unter allen Umständen fertigbauen zu müssen, selbst wenn Genting dieses nicht mehr übernehmen kann – fertigbauen kann durchaus weniger verlustreich sein, als zu verschrotten –, könnte es eintreffen, dass ein Interessent das Schiff zu einem stark herabgesetzten Verkaufspreis erwirbt. Mit all den erwähnten Relativierungen und Einschränkungen, versteht sich.

Für die etwas kleinere Genting Dream (2016), ihr Schwesterschiff World Dream (2017) sowie die 2019 von Star Cruises übernommene ältere Explorer Dream (1999) könnte ein Verkauf aufgrund flexiblerer Einsatzmöglichkeiten eher eine Option sein. Alle drei Schiffe wurden von der Papenburger Meyer Werft erbaut und entstanden in weiten Teilen in Anlehnung an damalige Schiffskonzepte von Norwegian Cruise Line (NCL), an der Genting bis Ende 2018 Anteile hielt.

Star Cruises

Star Cruises verfügt über vier ältere kleine bis mittelgrosse Schiffe, darunter ein kleines Boutique-Schiff sowie mit der Star Pisces (1990) eine ehemalige zum Kreuzfahrtschiff umgebaute Fähre der finnischen Viking Line. Die zwei restlichen Schiffe waren früher für NCL unterwegs.

«Für ältere kleinere Schiffe gibt es durchaus einen Markt, denn sie verfügen über eine loyale Fangemeinde unter den Reisenden», weiss Illes. Kleinere Schiffe haben besseren Zugang zu Häfen fernab der von den grossen Megalinern bedienten «Rennstrecken» – zum Beispiel in der griechischen Ägäis – und sind mit geringeren Kapitalkosten belastet, können also günstigere Tagesraten anbieten, verfügen aber aufgrund Effizienznachteilen über vergleichsweise höhere Betriebskosten. Aber auch sie müssen jeweils an die neusten Sicherheitsnormen/-vorschriften sowie Umweltstandards angepasst werden, was je nach Schiff gar nicht mehr oder dann zumindest nur zu hohen Kosten möglich ist, was sich nicht immer lohnt. Dementsprechend wurden im Zuge der Pandemie eine Reihe älterer Kreuzfahrtschiffe verschrottet.

Fazit

«Was mir etwas Sorgen bereitet, ist, dass die Verwerfungen rund um die Genting-Insolvenz einen Reputationsschaden der gesamten Kreuzfahrtbranche nach sich ziehen und vieles wieder über eine Leiste geschlagen werden wird», holt Illes aus, «da wird mit Sicherheit wieder wenig differenzierte Kritik an Gigantomanie, wenig nachhaltige staatliche Finanzhilfen gepaart mit fehlender Nachhaltigkeit, etc. laut.» Darauf müsse sich die Branche gefasst machen und überzeugende, griffige Argumente vorbereiten.

Denn man muss zwischen Kreuzfahrtkonzepten unterscheiden: Sowohl amerikanische als auch europäische Reedereien sind, obschon auch bei ihnen noch viel Verbesserungspotenzial besteht, mittlerweile viel umweltbewusster unterwegs und agieren oftmals als positive Vorreiter für eine insgesamt ökologisch nachhaltigere Schifffahrt. «Ob die von der Branche selbst gesetzten Ziele Richtung emissionsfreier Kreuzfahrt schnell genug realisiert werden können, um die so eminent wichtigen Klimaziele zu erreichen, ist allerdings eine andere Frage», schliesst Illes, «aber die Kritik an der Ferienform Kreuzfahrten, die wird aufgrund der Genting-Schlagzeilen bestimmt nicht leiser werden.»