Cruise
«An Land herrschen vielerorts viel laschere Zustände»
Nina WildHerr Illes, wie schätzen Sie die aktuelle Lage der Hochsee-Kreuzfahrtunternehmen ein? Wie lange können die Unternehmen unter diesen Umständen überhaupt noch «überleben»?
Thomas P. Illes: Ein grenzenloses Überleben ohne solidere Einnahmensituation bei gleichzeitig sehr hohen Betriebs- und Unterhaltskosten ist selbst für eine krisenresistente Branche wie Kreuzfahrten nicht möglich. Omikron stellt vieles wieder in Frage und bremst einmal mehr etliche Wirtschaftszweige empfindlich aus. Aufgrund der offenbar verringerten Krankheitsschwere macht sich allerdings zunehmend ein Klima von vorsichtiger Hoffnung und Optimismus breit. Anderseits scheint die sehr viel ansteckendere Omikron-Variante international eine grosse Diskrepanz zwischen medizinisch angezeigten sinnvollen Massnahmen und ständig wechselnden gesetzlich-administrativen Regulierungen, Einschränkungen, Restriktionen und Quarantänebestimmungen auszulösen. Auch gibt es bei dieser Variante noch etliche offene Fragen, zum Beispiel jene möglicher Long-Covid-Langzeitfolgen.
Die Zeit für eine Entwarnung scheint also noch zu verfrüht. Auch wissen wir nicht, ob vielleicht nicht doch noch neue, impfresistentere Virusvarianten mit schwerwiegenderen Krankheitsverläufen auftauchen werden. Grosse Hoffnung wird auf allenfalls in absehbarer Zeit zur Verfügung stehende medikamentöse Behandlungen sowie eine sich generell weiter aufbauende und erhaltende Bevölkerungsimmunität gesetzt. Die Investoren und Kapitalmärkte halten jedenfalls im Moment der einst so hochprofitablen und wachstumsstarken Branche mit einer nach wie vor loyalen Fangemeinde von Endkunden im Rücken grösstenteils immer noch die Stange.
Welche Auswirkungen hat es auf die Nachfrage, dass das Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA sowie das Deutsche Auswärtige Amt von Kreuzfahrten abraten?
Grosse. Noch mehr ins Gewicht fallen aber die ständig ändernden Reiserestriktionen. Aus Schweizer Sicht vor allem auch die generelle Testpflicht vor der Rückreise. Diese hat auch mich gezwungen, geplante und von langer Hand vorbereitete Beratungsmandate im Rahmen von Reisen in die USA, nach Südamerika und in die Antarktis kurzfristig abzusagen. Denn auch ich kann es mir nicht leisten, irgendwo am anderen Ende der Welt auf unbestimmte Zeit in einem Quarantänehotel festzusitzen. Bei Omikron muss man selbst als Geboosterter jederzeit mit einem positiven Testresultat rechnen.
«Bei Omikron muss man selbst als Geboosterter jederzeit mit einem positiven Testresultat rechnen.»
Welchen Einfluss haben Ihrer Meinung nach die negative Berichterstattung über Infektionen an Bord, Reiseabbrüche sowie Schiffe, denen das Anlegen in den Häfen wieder vermehrt verweigert werden?
Es versteht sich von selbst, dass solche Meldungen alles andere als vertrauensbildend sind und mit einer stark wachsenden Verunsicherung sowie Zurückhaltung bei Neubuchungen für Reisen in den kommenden Monaten einhergehen. Und es wird – verständlicherweise – auch wieder fleissig annulliert. Reisen mit einem längeren Zeithorizont sind noch weniger betroffen, da sah die Buchungslage bis vor Kurzem nach wie vor vielversprechend aus.
Wie können Reedereien das Vertrauen von Kundinnen und Kunden zurückgewinnen?
Die Schlüsselwörter heissen Kommunikation und Transparenz! Bei den dafür nötigen Prozessen besteht bei den meisten Reedereien nach wie vor Optimierungsbedarf. Vor allem das Zusammenspiel und die Koordination zwischen den operationellen, technischen und Managementabteilungen sowie den zusätzlichen zahlreichen involvierten Stakeholdern mit der Fülle von Schnittstellen funktioniert viel zu oft mehr schlecht als recht. Hier möchte ich aber für die Branche klar eine Lanze brechen: der Spagat zwischen vorausschauender, zuverlässiger Kommunikation und dem ständigen Hinterherrennen in der Lösungsfindung und Bewältigung einer täglich wiederkehrenden Fülle von komplexen Aufgaben unter stetig ändernden Bedingungen und Vorschriften in den einzelnen Regionen, Ländern und Häfen der Welt ist eigentlich fast nicht zu schaffen. Schon gar nicht mit einer im Zuge stark eingebrochener Einnahmen zur Wahrung eines Mindestmasses an Wirtschaftlichkeit notwendig gewordenen Reduzierung des Personalbestands.
Man kann es nicht anders sagen: trotz verständlichem und zunehmendem Frust vieler Reisebüros und Kunden über harzende Arbeitsabläufe und bisweilen stark zu wünschen übrig lassende Kundendienstleistungen, vollbringt die Branche momentan zuweilen wahre, nicht zu unterschätzende Husarenstücke, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können. Es gibt nicht viele andere Branchen, die das unter den gegebenen Umständen so hinkriegen würden!
«Es ging ja nie darum, einzelne Corona-Fälle an Bord von Kreuzfahrtschiffen zu vermeiden.»
Unter Ihren Kunden findet sich auch eine Reihe von Reedereivertretern. Was würden Sie als wichtigstes Element bei Ihrer Beratungstätigkeit in diesen Pandemiezeiten bezeichnen?
Etwas vom Elementarsten erscheint mir das gemeinsame Erarbeiten und Schulen von kollaborativem Teamwork unter Einbindung von Human-Factor-Elementen, Just Culture – also dem Schaffen einer besseren Fehler- Vertrauens- und positiven Führungskultur – sowie der Anwendung von abteilungsübergreifenden Problemlösungsmethodiken, Situationsanalysen, Checklisten, Krisenplänen, Alternativszenarien, Kommunikationsstrategien, etc. Obwohl man diese Begriffe oft hört, werden sie in vielen Organisationen, Unternehmen und Firmen noch immer primär als leere Worthülsen gehandelt. Entsprechend werden viele Abteilungen, gerade auch solche im direkten Kundenkontakt, regelmässig von Problemen regelrecht überrollt, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren schnell einmal den Überblick. Auf einer Kommandobrücke ist das ein absolutes No-Go. Aber auch in Abteilungen an Land ist ein methodisches und teamorientiertes Arbeiten mit vorab definierten einheitlichen Standards sehr hilfreich und wie wir bei der vorherigen Frage diskutiert haben, gerade in diesen Pandemiezeiten unabdingbar, um Chaos, Unzufriedenheit und letztlich auch die von Ihnen erwähnte negative Berichterstattung zu vermeiden.
Welche Bemühungen unternehmen Reedereien, um eine Kreuzfahrt auch in diesen Zeiten sicher zu machen?
Vielleicht sollten wir uns darauf verständigen, was Sicherheit in diesen Zeiten heisst. Es ging ja nie darum, einzelne Corona-Fälle an Bord von Kreuzfahrtschiffen zu vermeiden. Das war schon mit der Delta-Variante nicht möglich und scheint aufgrund ihrer sehr viel höheren Ansteckbarkeit mit Omikron erst recht nicht möglich zu sein. Vielmehr war und ist es essenziell, Superspreader, wie vor zwei Jahren auf der Diamond Princess im japanischen Yokohama, zu vermeiden, indem man Corona-Fälle frühzeitig erkennt, sie in speziell geschaffenen Isolierzonen isoliert, adäquat medizinisch betreut und – falls nötig – in einem passenden und für solche Fälle vorbereiteten Hafen in Quarantäne übergibt. Bis jetzt klappte das sehr gut, was für die stringenten Sicherheits- und Hygieneprotokolle an Bord von Kreuzfahrtschiffen wie Impflichten, Testprotokolle, Maskenregelungen, HEPA-Filter, Crowd Management, etc. spricht. An Land herrschen vielerorts viel laschere Zustände mit den entsprechend bedeutend höheren Positivitätsraten. Daran scheinen sich aber viele nicht sonderlich zu stören.
Aktuell gehen auch mehr und mehr Reedereien dazu über, die Impflicht auf den Booster auszuweiten, eine erweiterte Maskenpflicht auch in Innenräumen – zum Beispiel in Casinos mit einem Rauchverbot – vorzuschreiben, individuelle Landausflüge vielerorts wieder auszusetzen und das sogenannte «Bubble»-System wieder einzuführen. Dazu kann auch gehören, dass zum Beispiel vor der Kreuzfahrt individuelle Voraufenthalte in gewissen Ländern nicht mehr zugelassen werden und die Anreise zum Schiff von den Heimatländern direkt und ohne Umweg erfolgen muss. Ein anderer Aspekt ist die Planungssicherheit generell - die gibt gegenwärtig leider nirgends.
«Was die Kreuzfahrt-Industrie unbedingt ändern muss, ist ihr negatives Image. Dazu gehört auch, dass sie endlich aufhören muss, sich ständig nur als Opfer aufgrund von medialem Bashing und oftmals wenig faktenbasierten Verunglimpfungen zu sehen, ohne selbstkritisch ihren eigenen Beitrag zu reflektieren»
Was wären Ihrer Meinung nach die Lösungsansätze, um die Branche aus der Krise zu führen?
Alles, was mit dem weiteren Verlauf der Pandemie und deren Auswirkungen zu tun hat, kann die Branche nur indirekt beeinflussen. Sollte sich die Pandemie im schlimmsten Fall aufgrund von beispielsweise neuen Virusvarianten soweit verschärfen, dass Reise- und Freizeitaktivitäten noch mehr Einschränkungen erfahren bis unmöglich würden, würde das natürlich auch die Kreuzfahrtbranche betreffen. Langfristig wäre das nicht zu überleben. So schaut es aber im Moment glücklicherweise nicht aus. Was die Branche beeinflussen kann, es auch ausnehmend erfolgreich tat und immer noch tut, ist der Umgang mit der Pandemie und die daraus weiterhin abzuleitenden Massnahmen. Die Kreuzfahrtbranche hat sich schon seit jeher, auch schon lange vor Corona, bemerkenswert krisenresistent, wirtschaftsstark und flexibel gezeigt, und die besagten umfangreichen Sicherheits- und Hygieneprotokolle zeigen beispielsweise, dass man sich auf Kreuzfahrtschiffen sicherer fühlen durfte als in den meisten Einrichtungen an Land.
Was die Kreuzfahrt-Industrie aber unbedingt ändern muss, ist ihr negatives Image. Dazu gehört auch, dass sie endlich aufhören muss, sich ständig nur als Opfer aufgrund von medialem Bashing und oftmals wenig faktenbasierten Verunglimpfungen zu sehen, ohne selbstkritisch ihren eigenen Beitrag zu reflektieren, der dazu geführt hat, dass mittlerweile weite Teile der Bevölkerung, Medien und zahlreiche Institutionen Kreuzfahrten gegenüber so kritisch eingestellt sind. In Sachen Nachhaltigkeitsbemühungen, Kritikempfänglichkeit, Offenheit, Transparenz und Kommunikation hat es die Branche zu lange verpasst, mit überzeugenden Konzepten aufzuwarten. Um in einer hoffentlich dereinst möglichen Post-Pandemie-Ära mit sich möglicherweise wandelnden gesellschaftlichen Wertvorstellungen an alte Erfolge anknüpfen zu können, wird sich die Branche diesen Themen stellen und wieder für mehr Sympathien werben müssen. Da hat sie noch einen Haufen Arbeit vor sich.
Welche Cruise-Trends zeichnen sich eigentlich für dieses Jahr ab?
Da gibt es eine ganze Menge: Neue Schiffe in allen Qualitäts- und Grössenklassen, mehr Nachhaltigkeit, mehr regionale Produkte und Lieferketten unter vermehrter Einbindung und Partizipation der Lokalbevölkerung an Land, neue Destinationen und Routings, Ausweitung der Saisonalität in gewissen Regionen, zum Beispiel Winterkreuzfahrten in den nordischen Ländern, Weiterentwicklung von Technologie und Digitalisierung, Fokus auf kleinere Schiffe und Expeditionskreuzfahrten, Health, Fitness, Wellness, auch in der Gastronomie, Gen Z Cruising, vermehrte Angebote für Singles, mehr Diversität und Gender Equality bei den Führungskräften an Bord und an Land, etc. Das zeigt: trotz den gegenwärtigen Herausforderungen bleibt die Branche sehr innovativ und dynamisch.