Cruise
De Luxe «Als grösster Luxus werden Zeit und Platz angesehen»
Jean-Claude RaemyHerr Ungerer, können Sie uns etwas zur Entstehung von Explora Journeys und insbesondere von dessen Philosophie erzählen?
Michael Ungerer: Ich hatte das Glück, mit einem völlig weissen Blatt Papier anzufangen. In Zusammenarbeit mit der Familie Aponte, den Eigentümern des MSC-Konzerns, wurden zunächst die Eckpfeiler dieses neuen Engagements erörtert. Dann ging es um die Ausarbeitung der Firmenphilosophie - dafür haben wir in Zusammenarbeit mit McKinsey und Interbrand rund 20'000 Personen befragt. Es ging darum herauszufinden, was der moderne Luxuskunde genau haben möchte. Das Resultat war ziemlich klar: Als grösster Luxus werden «Zeit» und «Platz» angesehen.
Daraus wurde dann die Kernidee für das Produkt abgeleitet?
Im Englischen nennt man sowas die «Organizing Idea», um welche sich alles dreht. Bei uns dreht sich alles um «Exploration», und damit gemeint sind drei Aspekte: Erstens, Zeit für sich selber zu finden, also gewissermassen zurück zu sich selber finden. Dann, Zeit haben, um andere Leute zu treffen oder auch Zeit mit der eigenen Familie zu verbringen. Und schliesslich Zeit, um in Kleingruppen bei Exkursionen «off the beaten track» in neuen Destinationen Ursprüngliches zu erleben.
In unserer Marktforschung haben sich fünf Hauptzielgruppen herauskristallisiert. Kern war bei diesen nicht die Frage «Was kriege ich für mein Geld?», sondern «Wie kann ich mich gut fühlen?». Eine gemeinsame Charakteristik unserer Zielkundschaft sind Neugier und Lust auf spannende, authentische neue Erfahrungen, aber auch die Lust daran, loslassen zu können, allerdings in vertrauter und sicherer Atmosphäre. Erwartet wird auch ein hohes Mass an individueller Ansprache und Verwöhnung. Dabei sollen allerdings Individualität, Autonomie und Flexibilität gewährleistet sein. Will heissen, wir setzen bei der Kundenansprache nicht auf «Push», sondern auf «Pull».
Der ökologische Fussabdruck scheint nicht vorzukommen.
Im Gegenteil, das war ein weiterer wichtiger Punkt. Es ist den Kunden sehr wichtig zu wissen, wie gefahren wird, was man als Fussabdruck hinterlässt und solche Fragen. Diese Aspekte hat auch die Familie Aponte gleich zu Beginn in den Vordergrund gestellt.
Wie schlagen sich alle diese Erkenntnisse nun auf das Produkt nieder?
Infrastrukturell gesprochen: Den Platz bieten wir in unseren Suiten, deren Mindestgrösse 35 Quadratmeter beträgt und bis zu 300 Quadratmeter geht. Die Kabinen verfügen auch über Terrassen, manche über Jacuzzis. Unsere Kabinen zählen branchenweit zu den grössten. Auch im Innenbereich des Schiffs wird es viel Platz haben, damit Gäste auch ausserhalb der Kabine Rückzugsmöglichkeiten haben. Die Aussendecks halten auf mehr als 2500 Quadratmeter drei Aussenpools und 64 Cabanas bereit.
Die Nachhaltigkeit ist einerseits beim Schiffsantrieb gewährleistet. Unsere vier Schiffe, mit einer Investitionssumme von 4 Milliarden Euro, werden über hybride Stromerzeugungsmöglichkeiten verfügen, über SCR-Katalysatoren die Stickoxidemissionen massiv reduzieren und - wo verfügbar - Landstrom verwenden.
«Es ist den Kunden sehr wichtig zu wissen, wie gefahren wird und was man als Fussabdruck hinterlässt.»
Was ist mit der Infrastruktur im Inneren des Schiffes?
Tolle Restaurants und moderne Infrastruktur an Bord werden ja gewissermassen vorausgesetzt, und es ist schwierig, sich da zu differenzieren. Wir bieten schon einige spezielle Annehmlichkeiten, etwa einen vierten Pool mit flexiblem Glasdach, wodurch man bei jeder Witterung schwimmen kann - der grösste seiner Art auf vergleichbaren Luxusschiffen. Aber eben, uns geht es mehr um das generelle Wohlbefinden der Gäste in Bezug auf Angebot, Service und Ambiente und weniger um theatralische Attribute auf dem Schiff.
Was darf man denn zum «Kultur- und Entertainment-Angebot» an Bord erfahren?
Wir haben hierzu bewusst noch nicht viel veröffentlicht, weil wir noch nicht in den vollen Verkauf gegangen sind. Das ist geplant im ersten Quartal 2022. Dann werden wir Stück für Stück mehr dazu veröffentlichen. Was ich sagen kann: Das Schiff bietet eine geeignete Plattform für ein sehr vielfältiges Angebot. Dieses wird unaufdringlichen, entspannten europäischen Luxus vermitteln - bei der Servicekultur wie auch in der Kundenansprache und beim Design. Erste Einblicke gab es ja bereits mit der Veröffentlichung von Renderings der Schiffslobby, welche grosszügig und elegant sein wird.
Und die Restaurants?
Die Restaurants werden vielfältig, klein und intim sein. Es gibt kein grosses Theater und keinen «White Glove Service». Und vor allem gibt es keine Zwänge.
Die Essenszeiten sind also frei wählbar?
Alle können im Restaurant dinieren, wann immer sie möchten.
Und wir sprechen hier nicht von einem Adults-only-Konzept, richtig?
Auf keinen Fall. Multigenerations-Urlaub spielt eine grosse Rolle und unsere Kundschaft will ja eben Zeit mit den Liebsten geniessen. Familien sind bei uns herzlich willkommen.
«Das Schiff vermittelt unaufdringlichen, entspannten europäischen Luxus.»
Sprechen wir über die von ihnen erwähnten individuellen, exklusiven Exkursionen. Arbeiten Sie da mit kleinen DMCs vor Ort zusammen oder wie wird das organisiert?
Wir werden mit eigenen Experten, die wir im Team haben, arbeiten, wie auch mit Anbietern vor Ort. Wir versuchen, viel Neues zu schaffen, auch im Bereich der Vor- und Nachprogramme sowie bei den Über-Nacht-Programmen. Hier kommt wieder der vorhin besprochene Faktor «Zeit» ins Spiel: Wir wollen die Reisen nicht überfrachten, aber das, was unternommen wird, sinnvoll und eingehend gestalten, also «slower and deeper». Die bereisten Ziele sollen wirklich kennen gelernt werden. Wir wollen den Destinationen etwas zurückgeben.
Sind damit auch neue Fahrgebiete bzw. Häfen im Visier?
Es wird eine Mischung geben aus bekannten und neuen Destinationen. Das ist ja immer auch eine Frage der Erreichbarkeit und der Hafengrösse.
Wichtiger in diesem Zusammenhang scheint mir der Hinweis, dass jede Reise frei kombinierbar ist. Es gibt also keine Rundreisen, bei denen man an den Ausgangsort zurückkehrt, sondern die Kunden können zu- und aussteigen wo sie wollen und Segmente, die wir «Grand Journeys» nennen, frei kombinieren. So kann man auch ganz lange Cruises problemlos buchen.
Man kommt also weg von den klassischen «Wochentouren»?
Wir gehen bei unseren Gästen von einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 8-9 Tagen auf dem Schiff aus. Im ersten Jahr wird es etwas mehr kürzere Reisen geben, weil wir das Schiff an diversen Orten vorstellen. Aber unser Konzept sieht wie gesagt so aus, dass der Kunde frei wählen kann, also 8, 16 oder 23 Tage mit uns unterwegs sein kann - wie es ihm beliebt. So sind echte «Explorationen» möglich.
«Exploration» aber nicht «Expedition» - solche Reisen sind nicht vorgesehen?
Nein, wir haben uns bewusst gegen Expeditionsreisen entschieden. Dies einerseits, weil diese Weltgegenden ökologisch sensibel sind und wir da nicht hinwollen. Unsere Schiffe verfügen deshalb auch nicht über eine Eisklasse. Andererseits ist die Plattform, die unser Schiff zur Befriedigung der Kundenwünsche bietet, für solches nicht geeignet. Unser Konzept sieht das nicht vor, weil das viele Einschränkungen mit sich bringt. Unsere Schiffe haben die optimale Grösse für das von uns vorgesehene Angebot - und sind zu gross für die Pole.
«Wir gehen bei unseren Gästen von einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 8-9 Tagen auf dem Schiff aus.»
Sie kommen also auch nicht an kleinere, unbekanntere Häfen heran?
Wir werden die Möglichkeit haben zu «tendern» und können von diversen Plattformen Passagiere an nahe gelegene Ziele befördern. Es ist schon wichtig, auch neue Ziele zu erschliessen. Wir wollen gleichermassen Repeater wie auch neue Kundschaft ansprechen.
«Neue Kundschaft» ist in der Kreuzfahrt eminent wichtig. Es wurde schon viel über das brachliegende Potenzial gesprochen, daran hat die Pandemie ja nichts geändert. Wie sehen Sie denn das Potenzial im Luxus-Kreuzfahrtenmarkt? Gibt es da Untersuchungen oder Kennzahlen?
Es sind unterschiedliche Zahlen im Umlauf - je nach dem, wie Luxus definiert ist. Wie man Luxuskreuzfahrten definiert, ist immer eine «Inside Out»-Sicht; für den Kunden gibt es einfach eine Kreuzfahrt mit passendem Angebot und Preispunkt. Es gibt Gäste, die sich regelmässig Luxus leisten und solche, die sich ausnahmsweise Luxus leisten. Man muss alle ansprechen können.
Aber zurück zum Potenzial: Der Luxusreisemarkt weltweit soll ungefähr 300 Milliarden Euro pro Jahr hergeben. Da sind aber Premiumflüge, Luxushotels und mehr mit drin. Wie viel davon auf Kreuzfahrten entfällt, da hört man völlig Unterschiedliches. Es gibt an die Kapazität geknüpfte Zahlen der CLIA, welche hierzu etwas Aufschluss geben: Kreuzfahrten machen 2-3 Prozent des gesamten touristischen Umsatzes weltweit aus, und davon sind ebenfalls rund 2-3 Prozent dem Luxus-Kreuzfahrtbereich zuzurechnen. Ohne zuviel über unsere eigene Marktforschung zu verraten: Wir gingen für 2019, ausgehend von ein paar Dutzend Millionen Kreuzfahrtgästen insgesamt, davon aus, dass es rund 650'000 Passagiere im Kreuzfahrt-Luxussegment gibt - dies einfach mal als Grössenordnung. Wir sind sicher, dass es hier noch viel Potenzial gibt.
In diesem Zusammenhang: Bisher verfügt MSC mit dem «Yacht Club» über ein eigenes «höherwertiges» Kundenansprache-Segment. Wird da Explora Journeys nicht etwas «kannibalisieren»?
In der Spitze gibt es vielleicht eine ganz leichte Überschneidung. Aber wir sprechen eigentlich eine andere, eigene Klientel an. Man muss schon sehen: Der durchschnittliche Preispunkt wird bei Explora Journeys mehr als doppelt so hoch wie beim Yacht Club liegen. Da spricht man ein anderes Segment an, welches wir mit einer eigenen Markenstrategie und einem eigenen Vertriebsteam ansprechen werden. Wir sind ein selbständiges Unternehmen innerhalb der MSC-Familie.
Das heisst, dass Explora Journeys in der Schweiz nicht vom bestehenden MSC-Team vertrieben wird, sondern von einem eigenen Team?
Wir haben bereits einige Personen rekrutiert; die für die Schweiz verantwortliche Person hat ihre Arbeit aufgenommen. Francisco Sanchez arbeitet ab sofort als Head of Sales für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Von Frankfurt am Main aus wird er die globale Vertriebsstrategie des Unternehmens in der Region vorantreiben und umsetzen. Er agiert als Teil des neu geschaffenen, breiter aufgestellten Vertriebsteams unter der Leitung von Chris Austin, unserem Chief Sales Officer. Bevor er zu Explora Journeys wechselte, war Sanchez elf Jahre lang in wichtigen Führungsrollen im Vertrieb von Holland America Line und Seabourn tätig.
Weitere Mitarbeitende werden teils noch gesucht. Wir werden also ein eigenes Team haben. Wir waren nicht an eine bestimmte Organisationsstruktur gebunden; wir setzen auf ein kleines Team von wenigen, dafür hochtalentierten Profis. Das Onboarding erfolgte bislang primär virtuell. Zunächst wurde das Team im DACH-Raum zusammengestellt, wir werden nun sukzessive diese Teams vorstellen, dann auch jene im Vereinigten Königreich, in den USA, in Australien und in anderen Märkten. Aktuell haben wir schon fast 50 Mitarbeitende aus 23 verschiedenen Ländern; wir rekrutieren aber noch weiter.
«Der durchschnittliche Preispunkt wird bei Explora Journeys mehr als doppelt so hoch wie beim MSC Yacht Club liegen. »
Das heisst Sie bauen da eine richtig globale Marke auf?
Ja, wir bauen Vertriebsstrukturen weltweit auf. Primär wie gesagt in Europa und Nordamerika, später wird auch Asien folgen.
Wir haben von Beginn weg ganz klar den Fokus auf «B2B2C» gelegt. Eine Initiative war, einen «By Appointment»-Service zu lancieren, welcher exklusiv für Reiseberater zur Verfügung stehen wird – das ist eine Branchenneuheit. Der Termin kommt dann mit Mitarbeitenden in einem der zwei «Explora Experience Center» zustande, welche sich in London und Miami befinden. In diesen ist die Kommunikation mit Branchenpartnern in fünf Sprachen möglich. Wir sind eine internationale Marke, im Kern mit Fokus auf EU/Schweiz, aber doch global ausgerichtet.
Der B2B-Vertrieb ist also bereits gestartet, und im 1. Quartal 2022 erfolgt der B2C-Verkaufsstart?
Richtig. Ausgesuchte Vertriebspartner weltweit haben bereits von den «Inaugural Journeys» erfahren. Wir haben uns beispielsweise bereits mit dem Luxus-Retail-Netzwerk Virtuoso ausgetauscht - bei diesen sind wir übrigens bereits zum «Preferred Partner» erklärt worden, was bisher noch nie mit einem Produkt gemacht wurde, welches noch gar nicht am Markt war. Auch zu anderen ausgesuchten Partnern wurde der Kontakt bereits etabliert.
Kurz: Es existiert aktuell eine Warteliste von Vertriebspartnern weltweit, welche demnächst mit den konkreten Einbuchungen werden beginnen können, da sie als erste Zugriff auf unser Angebot erhalten.
Im kommenden Jahr ist also mit Launch-Events zu rechnen - auch in der Schweiz?
Das ist geplant, ja. Die konkrete Ausgestaltung unserer Marketing-Aktivitäten läuft noch.
Eigentlich ist das Timing für ihren Launch ganz gut - die Pandemie ebbt ab, bis 2023 sollte diese - hoffentlich - komplett vorbei sein.
Ja, das Zeitfenster für die Lancierung ist kundenseitig vielleicht schon gut. Aber in der ganzen Aufbauphase war es eine Herausforderung, alles virtuell stattfinden zu lassen. Im Luxus baut viel auf zwischenmenschliche Ansprache und Service auf, und das war ja in den vergangenen Monaten ziemlich schwierig. Aber es geht ja wieder in die richtige Richtung und die Pandemie war für uns keine existenzielle Bedrohung. Wobei wir ja das Glück haben, zum grundsoliden MSC-Konzern zu gehören. Das gibt uns eine langfristige Perspektive.
Wir freuen uns also auf die kommenden Monate und rechnen mit einem guten Start.