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Sebastian Selke, MSC Cruises Schweiz: «Ich gehe davon aus, dass die Preise stabil bleiben.» Bild: MSC Cruises

«Bisher haben wir jeden Arbeitsplatz sichern können»

Jean-Claude Raemy

Sebastian Selke, Geschäftsführer Schweiz von MSC Cruises, äussert sich im Interview mit Travelnews zum Restart des Kreuzfahrtgeschäfts und zum Ausblick auf das nächste Kreuzfahrtjahr.

Die Kreuzfahrtbranche befand sich während Jahren auf Rekordkurs; immer grössere Schiffe wurden bestellt und gebaut, neue Segmente wurde bedient, das Potenzial schien riesig. Die Corona-Pandemie hat den Expansionskurs nun aber jäh gebremst. Die Einnahmen sind versiegt, die immensen Betriebs- und Investitionskosten für die Schiffe bleiben. Kein Wunder, will und muss die Kreuzfahrtbranche möglichst schnell wieder die Schiffe zur See schicken können.

MSC Cruises war die erste grosse Reederei, die vor rund einem Monat das reguläre Kreuzfahrtgeschäft wieder aufnahm - allerdings noch massiv reduziert und mit vielerlei Vorgaben für Passagiere und Crews. Was sind die ersten Learnings daraus? Wie sieht es in naher Zukunft mit Kreuzfahrten aus? Wir haben hierzu beim Schweizer MSC-Chef Sebastian Selke nachgefragt (Hinweis: Das Interview musste schriftlich geführt werden).  


Herr Selke, nachdem die Kreuzfahrtindustrie Corona-bedingt ab März 2020 monatelang still stand, gehörte MSC Cruises zu den ersten Reedereien, welche den Betrieb wieder aufnahmen, wenn auch in reduzierter Form. Warum war es wichtig, «First Mover» zu sein?

Nach Monaten des Stillstands der gesamten Branche macht es uns als eine der weltweit führenden Kreuzfahrtgesellschaften stolz, eine Vorreiterrolle zu übernehmen und zu zeigen, dass ein sicherer und gesunder Kreuzfahrtbetrieb mit hohen Standards möglich ist - ein Kreuzfahrtbetrieb, der auch das bietet, was eine Kreuzfahrt ausmacht: ein grossartiges Erlebnis an Bord und Landausflüge voller Entdeckungen.

Wir haben die Monate ohne laufenden Schiffsbetrieb dazu genutzt, um intensiv und strategisch darüber nachzudenken, wie wir solch sichere Kreuzfahrten in Corona-Zeiten durchführen und das Risiko einer Corona-Infektion für Gäste und Besatzung so gering wie möglich halten können. Eine hochkarätige Expertengruppe, etwa aus dem Bereich der Medizin und des öffentlichen Gesundheitswesens, hat uns professionell beraten.

Wo steht man eigentlich mit der Wiederaufnahme des Betriebs?

Im August haben wir als erste Reederei weltweit erfolgreich eine Kreuzfahrt im Mittelmeer gestartet: Die MSC Grandiosa absolviert derzeit ihre fünfte 7-Nächte-Kreuzfahrt seit dem Restart und fährt bis Ende des Jahres eine Route im westlichen Mittelmeer über Genua, Civitavecchia, Neapel und Palermo und Valletta.

Am 19. Oktober soll dann die MSC Magnifica als zweites Schiff auslaufen. Die Route führt sowohl durch das westliche als auch das östliche Mittelmeer und startet in Genua mit Zwischenstopps in Livorno, Messina auf Sizilien, Valletta auf Malta, Piräus nahe Athen und Katakolon bei Olympia in Griechenland sowie Civitavecchia bei Rom, bevor es nach Genua zurückgeht.

Gab es denn genügend Nachfrage, um die angebotene Kabinenkapazität von 70 Prozent - entsprechend den neuen Sicherheitsmassnahmen - zu füllen?

Die Nachfrage von Gästen ist weniger verhalten, als einige vielleicht gedacht haben. Ganz im Gegenteil: 70 Prozent der Buchungen im August und September sind spontane Neubuchungen und nur 30 Prozent resultieren aus Umbuchungen oder Gutscheineinlösungen. Die Mehrheit im Moment machen also Neukunden aus. Dank unseres sehr strengen Gesundheits- und Sicherheitsprotokolls sind wir zuversichtlich, dass sich die Verbrauchernachfrage weiterhin allmählich verbessern wird.

Wie ist das bisherige Feedback der Neustart-Kunden?

Das Feedback von den Tausenden von Gästen, die die Restart-Route des MSC Grandiosa bereits befahren haben, ist äußerst positiv. Viele bezeichneten ihre Reiseerfahrung als eine der sichersten Urlaubserfahrungen, die sie je gemacht haben, und lobten die Bereitschaft von MSC Cruises, über die von nationalen und regionalen Behörden festgelegten Richtlinien hinauszugehen.

«Die Nachfrage von Gästen ist weniger verhalten, als einige vielleicht gedacht haben.»

Ist eine Auslastung von 70 Prozent langfristig ausreichend, um wirtschaftlich zu sein? Oder anders ausgedrückt: Ist der aktuelle Status quo nur eine Momentaufnahme für einen Neustart, oder muss sich die Kreuzfahrtindustrie darauf einstellen, langfristig mit deutlichen Kapazitätsreduzierungen auskommen zu müssen?

Kurzfristige Rentabilität steht derzeit nicht an erster Stelle, aber wir wollen unseren Gästen und unseren Reisebüro-Partnern zeigen, dass Kreuzfahrten wieder möglich sind - und sicher. Natürlich wollen wir irgendwann wieder auf unser altes Niveau zurückkehren und im Laufe der Zeit zu einer normalen Kapazitätsauslastung zurückkehren, die von der weiteren Entwicklung der Pandemie sowie davon abhängt, ob und wie die internationalen Reisebeschränkungen fortbestehen werden.

Bedeuten reduzierte Kapazitäten tendenziell steigende Preise?

Ich gehe davon aus, dass die Preise stabil bleiben und unsere Gäste weiterhin das gewohnte Preisniveau geniessen werden. Dies zeigt sich derzeit auch beim jetzigen Restart.

Was sind denn nun die Learnings aus den ersten Kreuzfahrten mit der MSC Grandiosa?

Wir haben gezeigt, dass Kreuzfahrten dank unseres umfassenden Gesundheits- und Sicherheitsprotokolls auch in Zeiten von Corona eine sichere Option sind, erholsame Ferien zu machen. So wie viele der Tausenden von Gästen, die seit der Wiederinbetriebnahme der MSC Grandiosa auf dem Schiff unterwegs waren, es bestätigen, lässt die Einzigartigkeit unseres Protokolls – ein Protokoll, wie es nirgendwo sonst im gesamten Reisesektor und dem Gastgewerbe existiert –Kreuzfahrten zu einer der sichersten Urlaubsoptionen werden, die es derzeit gibt.

Alle Gäste durchlaufen das universelle Gesundheits-Screening, das drei Schritte umfasst – eine Temperaturkontrolle, die Überprüfung eines Gesundheitsfragebogens und einen Covid19-Antigen-Abstrichtest: Wir haben umfassend in Testgeräte investiert, die an Bord unserer Schiffe mitgeführt werden, so dass wir bei allen Gästen vor dem Einschiffen am Kreuzfahrtterminal Antigenabstriche machen können. Darüber hinaus füllen die Gäste schon nach der Buchung der Kreuzfahrt einen Gesundheitsfragebogen aus und erhalten ein bestimmtes Zeitfenster für die Ankunft am Kreuzfahrtterminal. Auf diese Weise können wir für Social Distancing sorgen.

Dass das Protokoll funktioniert, haben in jüngster Zeit erste Fälle bewiesen, in denen wir zum Beispiel Menschen mit Covid19-Symptomen, die zunächst einen positiven Antigen-Test hatten, dann aber einen sekundär-negativen Corona-Test (RT-PCR-Methode) durchführten, doch noch auf das Schiff lassen konnten. Anderen Gästen wurde während eines Landausflugs der Zutritt zum Schiff verweigert, nachdem die Sicherheitsvorschriften missachtet worden waren.

«Kurzfristige Rentabilität steht derzeit nicht an erster Stelle.»

Ok, darauf aufbauend: Was müssen Kunden über den Restart von MSC im Allgemeinen wissen? Was sind die Kernpunkte der neuen Sicherheitsmassnahmen?

1. Wie bereits erwähnt, gibt es eine allgemeine Gesundheitsprüfung der Gäste vor der Einschiffung, die drei Schritte umfasst: Einen Covid19-Antigenabstrich-Test, eine Temperaturkontrolle und einen Gesundheitsfragebogen. Je nach den Ergebnissen und der Kranken- oder Reisegeschichte des Gastes kann ein sekundärer Gesundheitscheck durchgeführt werden. Ein Gast, der positiv testet, typische Symptome zeigt oder Fieber hat, wird von der Einschiffung ausgeschlossen. Nach den Richtlinien des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten müssen Gäste, die aus Risikoländern ankommen, innerhalb von 72 Stunden vor Ankunft am Terminal einen molekularen RT-PCR-Corona-Test durchführen lassen. Alle Besatzungsmitglieder werden in ihrem Heimatland und im Kreuzfahrtterminal auf Covid19 getestet. Nach 14 Tagen Quarantäne an Bord werden sie ein drittes Mal sowie während der Kreuzfahrt regelmässig getestet.

2. Verbesserte sanitäre Massnahmen, die eine häufigere Reinigung, den Einsatz neuer Reinigungsmethoden und die Verwendung von Desinfektionsmitteln in Krankenhausqualität umfassen.

3. Social Distancing wird dadurch ermöglicht, dass die Gesamtkapazität der Gäste an Bord reduziert wird, so dass mehr Platz für die Gäste zur Verfügung steht (etwa zehn Quadratmeter pro Person bei einer Gesamtkapazität von 70 Prozent). Auch die Kapazität der Veranstaltungsbereiche wird reduziert. Das Unterhaltungsangebot wird für kleinere Gruppen konzipiert. Die Gäste werden ermutigt, Dienstleistungen und Aktivitäten im Voraus zu buchen. In allen Fällen, in denen eine angemessene Distanz nicht garantiert werden kann, sind die Gäste verpflichtet, eine Gesichtsmaske zu tragen. Dies gilt auch für das Fortbewegen auf dem Schiff, also in öffentlichen Bereichen oder z.B. in den Aufzügen. Gesichtsmasken werden den Gästen täglich in der Kabine bereitgelegt und sind auch überall sonst auf dem Schiff erhältlich.

4. Wir haben unsere medizinischen Einrichtungen und Dienstleistungen verbessert und die Zahl des qualifizierten medizinischen Personals erhöht, das in den neuen Massnahmen geschult ist, sowie die notwendige Ausrüstung für die Untersuchung, Beurteilung und Behandlung von Patienten mit Verdacht auf Covid19. Jeder Gast mit Symptomen wird im medizinischen Zentrum an Bord kostenlos behandelt. Darüber hinaus wurden spezielle Isolationskabinen eingerichtet, um die Isolierung von Verdachtsfällen und deren engen Kontakt zu ermöglichen.

5. Während der gesamten Kreuzfahrt wird die Gesundheitssituation permanent überwacht. Gäste und Besatzungsmitglieder werden täglich auf ihre Temperatur überprüft, entweder bei der Rückkehr von einem Landgang oder an speziellen Stationen an Bord. Während dieser ersten Phase der Wiederaufnahme des Betriebs können die Gäste als weitere verstärkte Schutzmassnahme nur im Rahmen eines von MSC Cruises organisierten Ausflugs an Land gehen. Das bedeutet, dass z.B. örtliche Veranstalter und Reiseleiter, die von MSC Cruises eingesetzt werden, das gleiche hohe Niveau an Gesundheit und Sicherheit wie an Bord bieten müssen, um das Wohlbefinden der Gäste sowie der besuchten Gemeinden während der Exkursionen zu schützen. MSC Cruises sorgt auch dafür, dass auf den Transfers ordnungsgemäss desinfiziert wird und dass ausreichend Platz vorhanden ist. Tourguides und Fahrer müssen sich zudem Gesundheitschecks unterziehen und angemessene Schutzausrüstung tragen.

6. Bei einem Verdachtsfall wird in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Gesundheitsbehörden ein Notfallplan aktiviert. Der Verdachtsfall und enge Kontakte werden isoliert und können gemäss den örtlichen und nationalen Vorschriften vom Boot entfernt werden.

Ist es sinnvoll, dass jede Reederei ihre eigenen Sicherheitskonzepte entwickelt? Wären Industriestandards nicht besser gewesen?

Dies ist eine Chance für die Industrie und wir müssen in die gleiche Richtung gehen. Als Branche haben wir immer zusammengearbeitet, um grosse Herausforderungen anzugehen und zu überwinden, ob es sich nun um die Sicherheit oder den Gesundheitsschutz handelt – und das werden wir jetzt wieder tun.

«Jeder Gast mit Symptomen wird im medizinischen Zentrum an Bord kostenlos behandelt.»

Sowohl für Kreuzfahrtreedereien als auch für Kreuzfahrtpassagiere sind die sich ständig ändernden Einreisebestimmungen Gift. Was kann die Kreuzfahrtindustrie als Ganzes dagegen tun? Sind reine «Seekreuzfahrten» ohne Landgang wirklich eine Alternative?

Für uns sind Kreuzfahrten nur mit Seetagen nicht das, was wir unseren Gästen anbieten wollen, denn wir möchten unseren Gästen immer ein komplettes Kreuzfahrterlebnis inklusive Landausflug bieten. Denn das macht gerade eine Kreuzfahrt aus: Die Entdeckung fremder Länder, Kulturen und Orte. Ein wichtiger Pfeiler unseres Protokolls ist der Reaktionsplan, den wir mit den Behörden in den Häfen, die wir anlaufen, aufgestellt haben. Es war entscheidend, sicherzustellen, dass wir weiterhin in der Lage sind, verschiedene Häfen und Reiseziele anzulaufen – und zwar in voller Zusammenarbeit mit den Behörden, den Hafenbehörden und den Reisezielen.

Die Gäste können die verschiedenen Reiseziele im Rahmen eines organisierten Landausflugs von MSC Cruises durch überprüfte Partner besuchen, die mit den gleichen hohen Gesundheits- und Sicherheitsstandards wie an Bord durchgeführt werden.

Verschiedene Schiffsauslieferungen stehen bei MSC noch aus. Wird dies beibehalten?

Das neueste Schiff des Unternehmens, die MSC Virtuosa, wird mit einer nachvollziehbaren Verzögerung von mehreren Monaten in Dienst gestellt werden, die auf Verzögerungen und Verschiebungen aufgrund der Corona-Pandemie in allen Werften weltweit zurückzuführen ist. Aus dem gleichen Grund wird die MSC Seashore nun im Juli 2021 in Dienst gestellt, nur wenige Monate später als ursprünglich geplant. Darüber hinaus halten wir an den kommunizierten Expansionsplänen ohne Abweichungen fest.

Wie hat sich die Krise auf das Schweizer MSC-Team ausgewirkt?

Als Kreuzfahrtreederei haben wir unter der Corona-Pandemie und dem daraus resultierenden Shutdown ebenso gelitten wie jeder andere Tourismusanbieter oder Veranstalter. Das heisst, dass wir zum Beispiel Kurzarbeit einführen mussten. Aber bisher haben wir jeden Arbeitsplatz sichern können.

Wann erwarten Sie eine Rückkehr zur vollen Kapazität?

Wenn wir davon sprechen, wann wir unsere gesamte Flotte wieder auf See sehen werden, dann wird dies im Sommer 2021 sein. Wir beginnen bei unserem Restart mit zunächst zwei Schiffen für den Sommer 2020 und wir planen, 14 Schiffe für den Winter 2020/2021 in Betrieb zu nehmen. Aber das hängt natürlich von der Entwicklung der Pandemie in den verschiedenen Regionen ab, in denen wir tätig sind. Wir werden keine Risiken eingehen und erst dann auf die Märkte zurückkehren, wenn es sicher ist.

Gehen Sie davon aus, dass die Kreuzfahrtschifffahrt mittel- bis langfristig wieder so starke Wachstumsraten wie im Jahr 2019 verzeichnen wird?

Was uns zuversichtlich stimmt, ist die Rückmeldung von Gästen, die in der Vergangenheit mit uns auf Kreuzfahrt gegangen sind, dass sie es nicht erwarten können, auf einem unserer Schiffe wieder ihre Ferien zu verbringen und dass sich diese Begeisterung bereits darin widerspiegelt, dass wir für den Sommer 2021 starke Trends sehen – was ein ermutigendes Zeichen ist, so dass die längerfristigen Aussichten in der Tat positiv sind.

Darüber hinaus zeigen unabhängige Untersuchungen oder Studien, die in den letzten Wochen zur Entwicklung des Tourismus im deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurden, dass der Urlaub im eigenen Land zwar derzeit die erste Wahl ist, wenn es um die Sicherheit geht, aber das Interesse an Fernreisen und auch Kreuzfahrten - ob bei jung oder alt - nach wie vor vorhanden ist. Die Menschen sehnen sich danach, reisen zu können, und die Buchungstrends für die Sommersaison 2021 zeigen das.