Cruise
«Es wird Monate dauern, bis sich das Kreuzfahrtgeschäft einigermassen normalisieren wird»
Nina WildIn den vergangenen Wochen wurde es ruhig um die Kreuzfahrt-Industrie. Zumindest was den Bereich der Hochseekreuzfahrten betrifft. Die Coronavirus-Pandemie hat die Branche praktisch über Nacht zum Stillstand gebracht. Die verschiedenen Regierungen tun sich schwer, das Anlegen der Schiffe in den Häfen wieder zu erlauben, und es ist anzunehmen, dass sich der Sektor nur langsam erholen wird. Die Reedereien ihrerseits sind zurückhaltend mit der Kommunikation, da ihnen für den Restart die Hände von den Behörden gebunden sind. Aber das heisst nicht, dass die Unternehmen im Hintergrund nicht an Projekten arbeiten und sich auf mögliche Szenarien für die Wiederaufnahme des Betriebes vorbereiten.
Bei der italienischen Reederei Costa Crociere geht man derzeit von einer dreistufigen Rückkehr des Betriebes aus: «Eines der möglichen Wiederanlaufszenarien könnten zu Beginn Kreuzfahrten im Inland sein, hauptsächlich zwischen italienischen Häfen nur für Italiener. In einer zweiten Phase könnte das Angebot dann auf Reiserouten ausgeweitet werden, die Nachbarländer einschliessen, wenn Reisen zwischen ausländischen Häfen möglich sind. Das Unternehmen erwartet eine Rückkehr zum vollständigen Angebot in einer dritten Phase», sagt ein Sprecher gegenüber Travelnews. So oder so habe die Gesundheit und Sicherheit der Gäste, des Personals und der einheimischen Bevölkerung in den Zielgebieten oberste Priorität. Deshalb arbeite die Reederei eng mit der CLIA (Cruise Lines International Association) sowie mit allen zuständigen Behörden und unabhängigen wissenschaftlichen Experten zusammen, um die spezifischen Sicherheits- und Gesundheitsprotokolle und die detaillierten Massnahmen festzulegen, die bei der Wiederaufnahme des Betriebs umgesetzt werden sollen.
Auch bei AIDA Cruises dreht sich zur Zeit alles um die Wiederaufnahme des Kreuzfahrtbetriebes. «Selbstverständlich beschäftigen wir uns eingehend mit der Zeit, wenn das Reisen wieder möglich ist. Dazu werden derzeit detaillierte Pläne erarbeitet», sagt AIDA-Sprecherin Rebecca Amstutz auf Anfrage. Mehr zum Re-Start wird nicht preisgegeben. Derzeit sind alle 14 Kreuzfahrtschiffe der Reederei an Liegeplätzen untergebracht, und für die Crew gelten die verschärften Hygienebestimmungen und die gleichen Vorschriften zur Kontaktvermeidung und Social Distancing. Bislang gab es noch keinen Covid-19 Fall auf den Schiffen. «Unsere strengen Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen haben sehr gut gegriffen. Darauf werden wir aufbauen und unsere Prozesse entsprechend auch für die Zukunft ausrichten. Dabei arbeiten unsere medizinischen Experten eng mit den US-amerikanischen Zentren für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (CDC), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Robert-Koch-Institut zusammen, um die empfohlenen Vorsorge-, Präventions- und Kontrollmassnahmen für unsere Schiffe umzusetzen. Eine der wichtigsten Aufgaben wird es sein, alle ergriffenen Massnahmen auch sehr genau unseren Gästen zu kommunizieren», führt Amstutz weiter aus.
Vertrauen zurückgewinnen
Diese Unsicherheit, wann wieder Kreuzfahrten unternommen werden können, wiederspiegelt sich auch in der Nachfrage: «In den vergangenen Wochen hatten wir nur vereinzelte Anfragen und Buchungen. Einige Kunden wollten im Juli und August verreisen, was natürlich schön wäre, aber aus aktuellen Gründen unmöglich», sagt etwa George Studer, Geschäftsführer von Cruise Center. Er hofft, dass wenigstens noch ein paar Reisen für den kommenden Herbst verkauft werden können, «ebenso sehen wir eine verstärkte Anfrage für 2021», sagt Studer weiter. Bei onlinetours.ch wiederum ist es ruhig: «Im Moment haben wir keine Nachfrage, wir machen aber auch keine Werbung. Ganz vereinzelt erhalten wir Anrufe von Kunden, die sich informieren, ob überhaupt Kreuzfahrten angeboten werden», hält Geschäftsführer Andi Hiltl fest.
George Studer hat aber trotz der Schwierigkeiten gute Gründe, positiv in die Zukunft zu blicken: «Im Grunde möchten fast alle Kunden wieder auf Kreuzfahrt, den Kunden fehlt diese schöne Reiseform.» Er nimmt an, dass in Zukunft die Sicherheit und Gesundheit der Öffentlichkeit und jedes Einzelnen auf Reisen im Vordergrund stehen wird. «Es gilt nun, die Hygienmassnahmen und technischen Neuerungen auf den Schiffen zu gewährleisten, die sich die Kreuzfahrer für zukünftige Reisen wünschen. Einige Reedereien haben ausgeklügelte Sicherheitsprotokolle erarbeitet, die es nun zu kommunizieren gilt, damit die Endkonsumenten wieder das Vertrauen für Hochsee-Kreuzfahrten gewinnen». Der Cruise-Profi beobachtet zurzeit einen höheren Bedarf an Suiten bei seinen Kunden - denn gäbe es einen Covid-Fall, hätten diese mehr Platz, um sich zurückzuziehen. Dass das Sicherheitsbedürfnis auf Reisen an Bedeutung gewonnen hat, registriert auch Andi Hiltl bei seinen Kunden: «Unsere Kunden sind verunsichert wegen zu vielen Gästen auf dem Schiff, verunsichert wegen der Maskenpflicht, verunsichert wie der ganze Ablauf stattfinden soll. Ganz allgemein habe ich viele ältere Kunden, die allesamt als Risikopatienten gelten. Falls wir Kunden haben, die buchen möchten, raten wir dies zu tun, da die Reedereien ja grosszügige Umbuchungsmöglichkeiten anbieten, so dass der Kunde beruhigt buchen kann.»
Angesprochen auf die Zukunftsaussichten der Cruise-Industrie sagt Andi Hiltl: «Es wird Monate dauern, bis sich das Kreuzfahrtgeschäft einigermassen normalisieren wird. Zu Beginn wird es regionale Kreuzfahrten geben. Mit der Zeit, so hoffe ich, werden auch die längeren, interessanteren Kreuzfahrten wieder angeboten werden können.» George Studer wiederum ortet durch die Krise neue Trends bei seinen Kunden: «In erster Linie ist die Freude an Kreuzfahrten weiterhin da, und die aktuelle Situation hat den Kunden auch Zeit gegeben, auch einmal andere Kreuzfahrtreedereien anzuschauen. So haben Kunden nach Flussfahrten gefragt, die eigentlich noch nie an eine Flussreise gedacht haben oder Familien möchten ihre Ferien im 2021 mit den Grosseltern und Kinder zusammen nachholen und eine sogenannte Generations-Kreuzfahrt machen.» Er ist überzeugt, dass die Menschen wieder vermehrt buchen werden, wenn die Behörden die Kreuzfahrtschiffe freigeben.
Das sagt der Experte
Travelnews hat beim international renommierten maritimen Wirtschafts- und Kommunikationsexperten Thomas P. Illes, der mit seiner Unternehmensberatung thilles consulting auch eine Vielzahl von Reedereien, Werften und die maritime Zulieferindustrie berät, nachgefragt, wie sich die Cruise-Industrie durch die Krise verändern wird. Bereits Ende März gab er in einem Travelnews-Interview ein paar Voraussagen, die nun mehrheitlich einzutreffen scheinen. Auf die aktuelle Situation bezogen, beantwortet er unsere Fragen folgendermassen:
Herr Illes, die Reedereien haben verschiedene Hygiene- und Sicherheitskonzepte vorgestellt. Wie werden diese die Kreuzfahrten für Passagiere in Zukunft verändern?
Thomas P. Illes: Von essentieller Wichtigkeit wird sein, bei den Kunden vermehrt wieder die Botschaft und das Vertrauen vermitteln zu können, dass Kreuzfahrten sicher, plan- und vorhersehbar sind. Faktisch lassen sich Kreuzfahrten durch flexible Stornobedingungen und verschärfte Hygiene-, Gesundheits- und Sicherheitskonzepte, welche die Branche in Zusammenarbeit mit den verschiedenen nationalen Gesundheitsbehörden im Moment unter Hochdruck ausarbeitet und übrigens auch für die Crews gelten, durchaus Corona-konform umgestalten: restriktive Kapazitätsbeschränkungen/-kontrollen, Gesundheits-Checks in den Kreuzfahrtterminals, zeitlich versetztes Einchecken, Temperaturmessung, ausführliche medizinische Fragebögen, noch mehr Desinfektionsstationen sowohl an Land, als auch an Bord, Ersetzung von Buffet- durch Bedienrestaurants, Regulierung der Bewegungsfreiheit und des «Crowd Managements» in Kombination mit Maskentragepflicht, Digitalisierungs-/Trackingtools und baulichen Massnahmen wie Ausbau der bordeigenen Krankenstationen, Einrichtung von speziellen Quarantäne- und Isolierzonen oder eines Umbaus der Klima- und Filteranlagen, etc. Das Ziel etlicher Reedereien: die Vorgaben der Gesundheitsbehörden soweit zu übertreffen, dass ein Hochseeschiff in Bezug auf Hygiene und Gesundheitsmanagement sicherer dasteht, als eine Destination an Land. Allerdings wird sich weisen müssen, ob ein derart verändertes Kreuzfahrterlebnis noch einem ausreichend grossen Kundenbedürfnis entspricht und ob es für die Branche auch längerfristig mit der erforderlichen Wirtschaftlichkeit betrieben werden kann.
Von Kundenseite gibt es ambivalente Signale: viele Menschen schätzen und lieben die Ferienform auf dem Meer ausserordentlich - bei etlichen sind, laut Angaben von Reiseveranstaltern und Reisebüros, schon richtiggehende Abstinenzerscheinungen zu verzeichnen. Diese Leute können es kaum erwarten, endlich wieder ein Schiffsdeck betreten zu dürfen. Andere wiederum lassen verlauten: «In Zukunft ohne mich!»
Laut den Reedereien liegen die Vorbuchungen für das nächste Jahr im Vergleich zum letzten Jahr prozentual, bei gleichzeitig erhöhtem Preisniveau, bereits deutlich im Plus. Allerdings befinden sich darunter auch viele Gäste, deren gebuchte Reisen im Zuge des laufend verlängernden Betriebsunterbruchs annulliert wurden und die nun mittels grosszügigen Kompensationsangeboten von den Umbuchungsmöglichkeiten auf Reisen im nächsten oder gar übernächsten Jahr Gebrauch machen, also keine Neukunden.
Von entscheidender Relevanz wird auch die Frage sein, ob nach den harten wirtschaftlichen Einschnitten, welche Millionen von Menschen in bislang stabilen ökonomischen Verhältnissen auf einmal in existenzielle Nöte brachten, noch genug Kaufkraft für Ferien vorhanden sein wird.
Wie glauben Sie hat das Coronavirus ganz generell die Cruise-Industrie verändert bzw. wird sie verändern?
Veränderungen sind auf der einen Seite auf operationeller Ebene, auf der anderen in der öffentlichen Wahrnehmung zu verzeichnen. Die offensichtlichste Veränderung ist natürlich, dass eine bislang enorm erfolgsverwöhnte Branche, welche seit ihrem Bestehen von einem Rekord zum anderen jagte, quasi von einem Tag auf den anderen einen Komplettstillstand zu verdauen hatte. Das führt dazu, dass die weiteren Wachstumspläne, wie dies übrigens auch bei etlichen anderen Branchen und Industrien ausserhalb des Tourismus der Fall ist, selbstkritisch hinterfragt und womöglich stark revidiert werden müssen. Gleichzeitig polarisieren Kreuzfahrten seit längerem enorm. Megaliner mit einer, wie sie gewisse Reedereien noch bis vor kurzem hinter vorgehaltener Hand in konkreter Planung hatten, nochmals hochgeschraubten Passagierkapazität von bis zu 10'000 Gästen erscheinen im Moment wenig opportun. Schon lange vor Corona wurden die kritischen Stimmen gegenüber der Kreuzfahrtbranche immer lauter und aggressiver. Zum Teil durchaus zu Recht. Zu einem gewichtigen anderen Teil wurde diese Entwicklung aber auch durch einen oftmals wenig faktenbasierten, gleichwohl ausgeprägten und quotenwirksamen Negativismus in der medialen Berichterstattung mit einem damit einhergehenden, nicht wegzudiskutierenden Imageschaden für die Branche befeuert.
Auf der operationellen Ebene wird viel davon abhängen, welche Zielgruppen welcher Nationalitäten ab wann wieder in welche Fahrtgebiete für welche Zeitdauer unter welchen Bedingungen einreisen dürfen und wie flexibel man auf kurzfristige Änderungen der Gesundheitslage reagieren kann. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf das Routing. Zum Beispiel weniger oder gar keine Hafenanläufe - das Meer und das Schiff selbst werden zur Destination. Aufgrund von unsicheren und möglicherweise regelmässig ändernden Einreisebeschränkungen setzen mittlerweile erste Reedereien in einer nunmehr beginnenden Anfangsphase auf kürzere «Homeland Cruises» in lokalen Gewässern ohne zu ausgeprägte Internationalität. Hier scheinen im Moment Reedereien, welche nicht der vom US Centers for Disease Control and Prevention (CDC) ausgerufenen «No Sail Order» unterworfen sind und kleinere, überschaubarere sowie Flussschiffe im Vorteil zu sein. Reedereieigene Inseln dürften in Zukunft ebenfalls eine grössere Rolle spielen, in gewissen Regionen womöglich auch Altersbeschränkungen.
Airlines auf der ganzen Welt fahren ihren Flugbetrieb langsam wieder hoch und die europäischen Grenzen sind weitgehend wieder geöffnet – während es um die Cruise-Industrie jedoch weiterhin ruhig bleibt. Welche Auswirkungen hat dieser Stillstand auf die Reedereien?
Die finanziellen Auswirkungen sind natürlich enorm, wobei es den grossen Reedereikonzernen tendenziell - zumindest im Moment noch - eher leichter fällt, an frisches Kapital zu kommen und durch verschiedene Kostenoptimierungsmassnahmen ihre Liquidität weiter zu sichern, als kleineren Nischenreedereien. Strukturbereinigungen werden mit Sicherheit nicht ausbleiben. Corona könnte man zudem durchaus auch als eine längst überfällige Zäsur bzw. als Nachhaltigkeitsbeschleuniger verstehen. Das erleben wir aktuell auch in der Luftfahrt, wo Rufe laut werden, Staatshilfen an Airlines an mögliche Verschärfungen der Umweltmassnahmen zur Erreichung der Klimaziele zu koppeln. Rund um den Globus mehren sich zudem die Stimmen, die öffentlichkeitswirksam und mit reichlich medialem Getöse das Ende der Kreuzfahrtbranche, ja gar des Tourismus schlechthin, wie wir ihn bislang kannten, proklamieren beziehungsweise richtiggehend herbeizusehnen scheinen. Damit einher geht ein möglicher, ziemlich einschneidender Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung und Einstellung gegenüber Ferien und dem Reisen generell. Das kann und darf der Branche natürlich nicht egal sein. Zukunftsforscher Matthias Horx formulierte das beispielsweise unlängst in einer Fernsehsendung mit seiner gewagten These, wonach «beschleunigte Formen des sehr sehr erhitzten, sehr schnellen Kapitalismus wie Kreuzfahrtschiffe in der Ökonomie der Zukunft so nicht wiederkommen werden». Daran glaube ich persönlich allerdings in keinster Weise.
Die Kreuzfahrtbranche tut aber sicher gut daran, die Krise als Anlass zu nehmen, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen - auch im Sinne eines nach meinem Dafürhalten zukünftig noch sehr viel wichtigeren Reputationsmanagements - noch entschiedener, nachvollziehbar, vor allem auch schneller voranzutreiben und proaktiver und glaubwürdig zu kommunizieren. Auch wenn solche - durchaus kostenintensive - Anstrengungen im momentan herrschenden wirtschaftlichen Überlebensmodus als Widerspruch erscheinen mögen: die Industrie wird nicht darum herumkommen, sich bei einem Comeback auf noch kritischere und drängendere Fragen einstellen und überzeugende Antworten liefern zu müssen. Darauf sollte sich die Industrie gerade jetzt mit allem Nachdruck vorbereiten. Dies auch im Hinblick eines durch die Krise beschleunigten möglichen Wertewandels, beispielsweise bei der Fridays-For-Future-Bewegung, die gerade bei der jüngeren Generation mit Signalwirkung auf weitere Bevölkerungskreise nach dem Ende der Corona-Krise noch mächtiger für den Kampf gegen den Klimawandel auftreten dürfte.