Cruise

Wohin des Weges für die Kreuzfahrtindustrie? Bild: neufal54

Kommentar Wird es genügend Passagiere für die geplanten Cruiseliner geben?

Rund 100 weitere Kreuzfahrtschiffe sind in Auftrag gegeben - auf Wachstums-Annahmen fussend, welche vor der Coronavirus-Krise definiert wurden. Von Stornierungen ist bislang aber noch keine Rede.

Im vergangenen Jahr durften wir immer wieder über neu in Auftrag gegebene Kreuzfahrtschiffe berichten. Die Kreuzfahrtbranche boomte, es herrschte Optimismus, und insgesamt waren so zu Jahresbeginn 2020 rund 100 in den kommenden 10 Jahren neu zu bauende Kreuzfahrtschiffe in den Auftragsbüchern der Werften. Schiffe mit Platz für 1000 bis 5000 Passagiere. Schiffe, die irgendwo in der nicht allzu weit entfernten Zukunft zusätzliche Kapazitäten für hunderttausende Passagiere, pro Woche wohlverstanden, geschaffen hätten.

Inzwischen ist das Cruise-Geschäft aus den hinlänglich bekannten Gründen fast zum Erliegen gekommen. Man hat über nicht zur Anlandung erlaubte Schiffe gelesen, über Schiffe als Infektionsherde, aber auch über Schiffe als temporäre Spitäler. Für die Kreuzfahrtgesellschaften stellt sich nun das Problem, dass man einerseits die Gäste wieder auf die bestehenden Schiffe locken muss, wenn die Krise dann einmal ausgestanden ist - aber was ist mit der ganzen Kapazität, die da noch für die folgenden Jahre aufgebaut wird? Ist die Coronavirus-Krise einfach eine «Delle» im Geschäft oder kann es sein, dass das schier ungebremste Wachstum der letzten Jahre einen nachhaltigen Dämpfer erlitten hat?

Optimismus herrscht weiterhin vor

Es ist nicht alles schlimm. Nachdem die Börsenkurse der grossen Reedereien zunächst abtauchten, erholen sie sich nun langsam, seitdem klar ist, dass es (zumindest teilweise) Hilfe von staatlicher Seite gibt und auch die Reedereien ihre Hausaufgaben machen, um die Krise zu überstehen. Darüber hinaus wird von einer Art «Kompensations-Nachfrage» ausgegangen, wenn die Menschen sich dann wieder frei bewegen können und Reisen in andere Länder problemlos möglich sind. Es ist auch davon auszugehen, dass die Reedereien mit besonderen Preis-Incentives wieder Gäste, ob neu oder bestehend, auf die Schiffe locken werden.

Aber was ist mit den Schiffen, die noch gar nicht in Betrieb sind? Zum einen dürfte die Auslieferung nicht mehr planmässig erfolgen: Fincantieri beispielsweise, die traditionsreiche italienische Werft, hat gemäss italienischen Regierungsanweisungen den Baubetrieb bis auf weiteres eingestellt. Dasselbe gilt etwa für die deutsche Meyer-Werft oder für Genting in Hongkong oder auch weitere Werften in Frankreich oder Spanien. Fincantieri hat derweil in einem Statement festgehalten, dass die Produktion mit voller Kraft wieder aufgenommen wird, sobald sich die Situation normalisiert hat.

Bestellt sind aktuell Schiffe im Wert von umgerechent rund 60 Milliarden Franken. Allein in diesem Jahr sollten 23 neue Schiffe ausgeliefert werden, dazu 23 im Jahr 2021, mindesten 25 im Jahr 2022 und weitere 18 im Jahr 2023; für den Zeitraum danach und bis 2027 lag man zuletzt bei acht weiteren Schiffen. Darunter sind etwa 20 Schiffe für die Carnival Corporation (diese entfallen auf unterschiedliche Konzernmarken), oder auch einige weitere Ozeanriesen für Royal Caribbean (z.B. die Odyssey of the Seas sowie zwei Schiffe in der neuen Icon-Klasse). MSC Cruises hat acht neue Schiffe bis 2030 in Auftrag, Celebrity Cruises erwartet noch zwei Schwesterschiffe für die bereits ausgelieferten Celebrity Edge und Celebrity Apex. Norwegian Cruise Line hat vier weitere Schiffe bestellt, Disney Cruise Line deren drei, Virgin Voyages hat ein Schiff erhalten und erwartet noch weitere, eines ist bereits im Bau. Dazu kommt eine ganze Reihe neuer Expeditionsschiffe, etwa von Scenic Cruises, Crystal Cruises oder auch neuen Playern wie Ritz-Carlton. Das sind nur ein paar Beispiele und bei Weitem keine komplette Liste.

Was ist zu erwarten?

Aktuell wird an diesen Bauplänen festgehalten; es sind keine Annullierungen bekannt und Produktionsverzögerungen sind zwar zu erwarten, aber noch nicht wirklich bekannt/kommuniziert.

Zur Bewältigung der kommenden neuen Kapazitäten gibt es derzeit zwei Stossrichtungen: Zum einen dürften die älteren Schiffe, vor allem jene, die auch beim Antriebssystem nicht mehr neusten Standards entsprechen, schneller als geplant aussortiert werden. Damit wird die Kapazität auf Seite der älteren Schiffe heruntergefahren. Zum anderen wird wohl noch mehr als bisher versucht, sich neue Märkte zu erschliessen - also in Asien oder Ozeanien zu kreuzen, wo man andere Kundschaft ansprechen kann. Gleichzeitig wird wohl die Differenzierung vorangetrieben: Jetzt sind Privatinseln, die man jederzeit ansteuern kann und wo die Hygienekonditionen der eigenen Verantwortung unterliegen, eine optimale Option zu sein. Kleinere Schiffe, die auch kleinere Häfen anlaufen, dürften grossen Zuspruch haben. Es gilt, neue Märkte zu stimulieren.

Vorläufig dürfte es wohl auch keine weiteren Schiffsneubau-Ankündigungen geben.

Lesen Sie zum Thema der Zukunft der Kreuzfahrtbranche auch unser lesenswertes Interview mit Cruise-Experte Thomas P. Illes.

(JCR)