Cruise

Thomas P. Illes nennt mögliche neue Geschäftsmodelle für Kreuzfahrt-Gesellschaften. Bild: Rita Röösli, marinepress fotomarine

«Denkbar wären vermehrte Cruises to Nowhere»

Gregor Waser

Kommunikations- und Kreuzfahrtexperte Thomas P. Illes nimmt Stellung zu den gegenwärtigen Herausforderungen der gebeutelten Cruise-Branche im Zuge der Corona-Krise.

Herr Illes, werden die Bilder und Posts der Passagiere, die auf der Diamond Princess, aber auch anderen Kreuzfahrtschiffen während mehreren Tagen in ihren Kabinen unter Quarantäne eingeschlossen waren die künftige Bereitschaft, eine Kreuzfahrt zu buchen, schmälern?

Thomas P. Illes: Es ist vor allem die für die Reedereien so wichtige Gruppe potenzieller Erstkreuzfahrer, die sich durch diese Berichte verunsichern liess. Erfahrene Kreuzfahrer, die sich mit den beileibe nicht immer als so eng empfundenen und teilweise sehr komfortablen Platzverhältnissen an Bord von Kreuzfahrtschiffen auskennen, konnten die Schilderungen besser einordnen. Aber klar: niemand möchte in einer Innenkabine eines Schiffs tage- bis wochenlang in strenger Quarantäne verbringen müssen. Auch ich nicht!

Nun steht die Kreuzfahrtindustrie weitestgehend still. Wird die Branche das überleben?

Die erfolgsverwöhnte Cruise-Branche war bislang weitgehend hochprofitabel, global-flexibel aufgestellt und entsprechend krisenerprobt. Einen Unterbruch von wenigen Wochen bzw. zu erwartende Verluste, solange sie überschaubar bleiben, vermag sie problemlos wegzustecken. Die gegenwärtigen Zeichen stehen allerdings auf eine länger anhaltende Durststrecke.

Das überwiegende Gros der Reedereien spricht von einem Shutdown bis Ende April, dann soll es wieder losgehen ...

Das erachte ich als allzu zweckoptimistisches, mittlerweile bereits überholtes Wunschdenken. So haben erste Reedereien den Termin für eine mögliche Wiederaufnahme des Betriebs nun auf Mitte Mai verschoben. Aber auch das scheint mir noch wenig realistisch. Die Entwicklung der letzten Wochen und Tage lässt darauf schliessen, dass wir uns hier eher auf Monate, statt ein paar weniger Wochen des Stillstands einzustellen haben. Entsprechend haben die ersten Kreuzfahrtkonzerne bereits Kredite in Milliardenhöhe in Anspruch genommen, um sich mit Liquidität zu versorgen. Der Betrieb und Unterhalt von Hochseeschiffen, auch wenn diese in den Häfen festsitzen, ist teuer und erfordert die nötigen Finanzmittel. Auch wird uns COVID-19 wohl noch auf Jahre beschäftigen - partiell wird in den verschiedensten Weltregionen immer wieder mit empfindlichen Reiseeinschränkungen zu rechnen sein.

«Irgendwann werden die Menschen ihre jetzigen Einschränkungen wieder kompensieren und in Heerscharen reisen wollen»

Mutieren Kreuzfahrten demnach womöglich zu einem Auslaufmodell?

Vielleicht sollten wir uns an dieser Stelle eher fragen, ob nicht der weltweite Tourismus zu einem Auslaufmodell werden könnte ...

Glauben Sie das?

Nein, in keinster Weise. Irgendwann werden die Menschen ihre jetzigen Einschränkungen wieder kompensieren und in Heerscharen reisen wollen. Die Frage ist nur: wann und wie frei bzw. wird das überhaupt je wieder wie vor der Krise möglich sein? Und: wie viel wird das Privileg des bislang so leicht verfügbaren Reisens zukünftig kosten? Wird es noch billiger? Oder aber bedeutend teurer, weil es ein rares Gut für einige wenige Privilegierte werden wird? Klar scheint, dass sich auch auf längere Sicht etliches verändern wird und womöglich neue Geschäftsmodelle entstehen werden. Dies auch im Hinblick eines durch die Krise beschleunigten möglichen Wertewandels, beispielsweise bei der Fridays-For-Future-Bewegung, die gerade bei der jüngeren Generation nach dem Ende der Corona-Krise noch mächtiger für den Kampf gegen den Klimawandel auftreten dürfte.

Angeschlagene Cruise-Industrie: Wie geht es weiter? Bild: Thomas P. Illes, marinepress fotomarine

Stehen also harte Zeiten für die Kreuzfahrtbranche bevor?

Die jetzige Ausgangslage wird die Planungssicherheit der Reedereien erheblich erschweren und auch von etlichen zukünftigen Kreuzfahrtgästen viel, womöglich zu viel Flexibilität einfordern. Denn gerade Attribute wie Vorhersehbarkeit, Zuverlässigkeit und Planungssicherheit waren bislang Attribute der Kreuzfahrtindustrie, die nun auf einmal in Frage gestellt zu sein scheinen. Je nachdem, wie sich die Situation im Zusammenhang mit Corona weiterentwickelt, könnte das bisherige Erfolgs-/Businessmodell «Kreuzfahrten» in der Tat Schaden mit weitreichenden Folgen nehmen. Allerdings gilt das momentan wie gesagt für die meisten anderen Tourismus- und Mobilitätsbereiche auch. Das wiederum könnte die Problematik für die Kreuzfahrtbranche - vorerst einmal - weiter verschärfen.

Inwiefern?

Die Cruise-Branche gehört zu den am komplexesten und engmaschigsten vernetzten Segmenten der Touristik mit einer enormen Anzahl verschiedenster Stakeholder. Entsprechend bestehen zahlreiche gegenseitige Abhängigkeiten. Ohne eine global und grenzüberschreitend einwandfrei funktionierende Infrastruktur, Logistik sowie Liefer- und Dienstleistungskette kann Kreuzfahrt nicht funktionieren. Man denke beispielsweise an Bereiche wie Flug- und Hafenanbindungen, Hotelkapazitäten an Land, Destinationsmanagement, Tour Operating, Catering-, Gastro-, Entertainment-, Event-, Retail-Leistungen, etc. Auch braucht es ein umfassendes weltweites Vertriebsnetz sowie das Zusammenspiel mit einer Vielzahl internationaler und lokaler Organisationen und Behörden. Viele der genannten Teilbereiche befinden sich momentan aber ebenfalls im Krisenmodus und mussten den Betrieb teilweise ebenfalls drastisch reduzieren. Dieses Räderwerk lässt sich nicht so einfach von heute auf morgen wieder hochfahren.

«Problematisch könnte es für kleinere Reedereien werden»

Rechnen Sie mit Konkursen unter den Reedereien?

Die entscheidende Frage ist, wie lange die Durststrecke andauern wird. Problematisch könnte es für kleinere Reedereien werden, welche nicht über die wirtschaftlichen Skaleneffekte und die Finanzkraft, Systemrelevanz und Kreditwürdigkeit grosser Konzerne verfügen - Insolvenzen, sofern keine Unterstützungshilfen erfolgen, sind leider nicht auszuschliessen.

Was ist mit den vielen internationalen Besatzungsmitgliedern, die nun irgendwo auf der Welt gestrandet sind und nicht in ihre Heimatländer zurückkommen? Bleiben die auf den Schiffen?

Das ist ein Problem, mit welchem sich im Zuge der momentanen weltweiten und restriktiven Reisebeschränkungen die gesamte Schifffahrtsbranche konfrontiert sieht. Viele Reiseströme sind schlicht nicht mehr möglich. Die Weiterführung der Unterbringung der Crews an Bord schlägt wesentlich bei den operativen Betriebskosten zu Buche. Gleichzeitig bedeutet es für die Crews eine unglaubliche Belastung, da sie nicht wissen, wann sie ihre Familien wiedersehen werden und wie ihre wirtschaftliche Zukunftsperspektive aussieht.

Wenn Sie von neuen neue Geschäftsmodellen sprechen: wie könnten diese bei Kreuzfahrten aussehen?

Der Branche ist zuzutrauen, dass sie bei Bedarf Teile ihres Angebots entsprechend den veränderten Rahmenbedingungen bzw. Kundenwünschen und -bedürfnisse flexibel anpassen kann. Die Situation präsentiert sich im Moment aber ziemlich kompliziert und wird immer unübersichtlicher. Viel wird davon abhängen, welche Zielgruppen welcher Nationalitäten ab wann wieder in welche Fahrtgebiete für welche Zeitdauer unter welchen Bedingungen einreisen dürfen und wie flexibel man auf kurzfristige Änderungen der Gesundheitslage reagieren kann. Denkbar wären zum Beispiel vermehrte «Cruises to Nowhere», also Reisen ohne Hafenanläufe - das Meer und das Schiff selbst werden zur Destination. Reedereieigene Inseln und Altersbeschränkungen könnten zukünftig ebenfalls eine grössere Rolle spielen, ebenso eine mögliche Nutzung von Teilen der Flotten als temporäre Hotelschiffe. Oder, falls operationell und wirtschaftlich sinnvoll durchführbar, «Mystery Cruises», wo man aus der Not eine Tugend macht und die nötige Flexibilität in Sachen Dauer und Hafenanläufen als spezielles Erlebnis anbietet. Ein paar Reedereien praktizierten das schon. Und auch wenn es vielleicht etwas weit hergeholt scheint, aber warum keine luxuriösen Quarantäne-Packages aus einer Hand, beispielsweise in Kombination mit umfunktionierten Residenzschiffen vor oder nach der eigentlichen Kreuzfahrt? Zukünftige Restriktionen und Bestimmungen könnten dies womöglich angezeigt erscheinen lassen. Innovativ und kreativ war die Kreuzfahrtbranche schon immer, und ich bin überzeugt, dass sich Lösungen für die Branche finden werden. Entsprechend optimistisch-kämpferisch gibt sich diese auch. Das momentan vorherrschende Credo: «Together we will be back stronger than ever!” Ob allerdings das starke Wachstum in den angestammten Geschäftsfeldern weiterhin so erfolgreich fortgesetzt werden können wird wie bisher, bleibt fraglich. Zudem dürfte die Zielgruppenbewirtschaftung zukünftig um einiges spezifischer und damit komplizierter und aufwändiger werden.

«Nicht wenige dürften die Rückkehr der Schiffe sehnlichst herbeiwünschen»

Könnte unter diesen geänderten Vorzeichen nicht auch gleichzeitig das Overtourism-Problem entschärft werden?

Auch hier gebe ich die Frage gerne zurück: gilt das nicht für alle Bereiche des Tourismus weltweit? Wer hätte vor kurzem noch gedacht, dass Undertourismus zum neuen Schlagwort der Branche wird und sich allem Anschein nach ein Grossteil der Bevölkerung davor mehr zu fürchten beginnt, als vor Overtourism? Sollte die Kreuzfahrtbranche wieder zur alten Form finden, wird es interessant sein, die viel zitierten – meiner Meinung nach zum Teil durchaus berechtigten — Kritikpunkte der Venedigs, Barcelonas, Amsterdams, Bar Harbors, St. Thomas’, usw. dieser Welt vor und nach Corona zu vergleichen. Nicht wenige dürften unter den gegebenen Umständen die Rückkehr der Schiffe mit ihren Gästen und ihrer Crew sehnlichst herbeiwünschen und diese mit begeistertem Applaus willkommen heissen, sollten sie eines Tages wieder die Häfen beleben ...

Könnten Kreuzfahrtschiffe in den nächsten Wochen eine Rolle bei der Unterstützung einzelner Länder und Gesundheitsorganisationen spielen? Eventuell als Spitalschiff?

Bestrebungen in dieser Richtung sind im Gange. Passagierschiffe in funktionsfähige Krankenhäuser umzurüsten ist zwar aufwändig, aber machbar. Der Vorteil von Schiffen ist, dass sie «moveable assets» sind, man sie also flexibel zu den verschiedenen Brennpunkten verschieben kann. Im Hafen von Genua liegt beispielsweise seit einigen Tagen die zur MSC-Gruppe gehörende Fähre «GNV Splendid» als Spitalschiff. Und der amerikanische Kreuzfahrtkonzern Carnival Corporation hat der US-Regierung Teile seiner Flotte ebenfalls als Nutzung für temporäre Krankenhausschiffe angeboten.

Auf was sollten Reedereien in einer solchen Krisensituation besonders achten?

Als Massnahmen eines aktiven Krisenmanagements scheinen mir primär drei Punkte wichtig. Erstens: Kunden, Mitarbeiter, Partner und Zulieferer im Sinne von Vertrauensbildung regelmässig klar, transparent und proaktiv informieren und sie loyal und kooperativ in ihren Bedürfnissen unterstützen. Zweitens: Sorge zu den Kunden bzw. deren Reisevermittlern tragen und sie mit grosszügigen Kompensationen für ausgefallene Reisen bzw. kulanten, flexiblen Umbuchungs- und/oder Annullationsbedingungen auch in Krisenzeiten für zukünftige Reisen positiv an sich binden. Beides hat die Branche bislang nahezu mustergültig geschafft. So waren es vor allem die Kreuzfahrtbranche und deren Interessensverband CLIA Cruise Lines International Association, die bereits sehr früh, als sich andere Tourismuszweige noch sehr unentschlossen und nebulös in ihrer Kommunikation zeigten, positiv vorpreschten und das Heft im Sinne einer aktiven Krisenkommunikation in die Hand nahmen. Hier können sich manch andere Tourismuszweige eine Scheibe von der Cruise-Industrie abschneiden.

Und der dritte Punkt?

Reputation! Im Sinne von Krise als Chance. Beispielsweise im erwähnten Zusammenhang mit den momentan festsitzenden Crews an Bord. Hier bleibt zu hoffen, dass sich die Reedereien ihrer sozialen Verantwortung auch dann noch bewusst sein und diese wahrnehmen werden, wenn die Krise länger andauern sollte. In Sachen Image und Branding hat die Branche nach meinem Dafürhalten eigentlich gar keine andere Wahl, als sich vorbildlich zu verhalten. Das war in der Vergangenheit im Zuge diverser kommunikativer Fehlleistungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit den vor der Corona-Krise allgegenwärtigen Umweltfragen, nicht immer der Fall. Die Aussenwahrnehmung bei Kunden und Zulieferern wird zukünftig, wenn das Geschäft wieder hochgefahren werden soll, von entscheidender Wichtigkeit sein. Die Befürchtung vor weiteren Medienbashings im Zuge von breit angelegten Quarantänemassnahmen an Bord und/oder Verweigerung etlicher Hafenanläufe war schliesslich auch der Grund dafür, weshalb sich zahlreiche Reedereien schon früh einem freiwilligen Betriebsunterbruch unterzogen, bevor sich dieser aufgrund der zwischenzeitlich von den meisten Regierungen erlassenen rigorosen Reiserestriktionen ohnehin aufdrängte.