Cruise

Für Kommunikations- und Cruise-Experte Thomas P. Illes ist klar: die Kreuzfahrt-Industrie sollte auf eine transparentere und offensivere Informations- und Kommunikationspolitik setzen. Bild: Sara Furrer

«Die Cruise Industrie verhielt sich zu zögerlich»

Cruise-Experte Thomas P. Illes nimmt Stellung zu den Umweltvorwürfen, die der Kreuzfahrt-Industrie derzeit um die Ohren fliegen.

Herr Illes, die Cruise-Industrie steht am Pranger wegen Umweltsünden. Zu Recht?

Thomas P. Illes: Zum einen ja, zum anderen nein. Ja, weil die Kreuzschifffahrt als ein – wenn auch kleiner – Teil der Schifffahrt generell in einem nicht besonders umweltfreundlichen Umfeld tätig ist. Dies vor allem, weil sich die Handelsschifffahrt als Rückgrat des globalen Welthandels und einem gnadenlosen Preiswettbewerb gezwungen sieht, den Transport von Gütern viel zu billig abzuwickeln und dadurch wirtschaftlich immer wieder mal mit dem Rücken zur Wand steht. Wir als Verbraucher wollen möglichst alles möglichst billig. Da blieb bislang leider wenig Raum für den Warentransport verteuernden Umweltschutz.

Und warum nein?

Nein, weil der überwiegende Teil der Cruise Industrie aufgrund ihrer gesunden finanziellen Basis die Mittel hat bzw. infolge ihrer touristischen Freizeitausrichtung immer mehr die Notwendigkeit sieht, die Entwicklung innovativer Umwelttechnologien sowie nachhaltigeres Denken und Handeln voranzutreiben. Ferien und Umweltzerstörung oder gar Gesundheitsgefährdung passen nun mal schlecht zusammen. Damit ist es gerade die vielgescholtene Cruise Industrie, welche in den letzten Jahren einen entscheidenden und immer wichtigeren Beitrag leistet, die Schifffahrt generell umweltfreundlicher zu machen.

Was hätte die Industrie in den vergangenen Jahren anders machen müssen?

In erster Linie die Kritik schneller ernst nehmen, sich gesprächsbereiter zeigen, offener, transparenter und proaktiver kommunizieren. Auch wenn es die Umweltverbände mit dem Wahrheitsgehalt in ihren Aussagen nicht immer so genau nehmen und zum Teil medienwirksam regelrechte Falschinformationen verbreiten, war und ist die Stossrichtung der Kritik an der Branche wichtig und richtig. Ohne diesen zum Beispiel vom Naturschutzbund Deutschland NABU aufgebauten Druck sähen wir heute – zumindest in Europa und speziell Deutschland – wohl nicht die Fortschritte, wie sie Unternehmen wie Aida oder TUI Cruises mit Signalwirkung auf andere Reedereien vermelden können. Trotzdem sollte man darauf pochen, dass Kritiker der Branche mit korrekten Fakten operieren. Grosse Teile der Cruise Industrie wiederum verhielten sich viel zu lange viel zu zögerlich, agierten primär verschwiegen, stellten sich stur, setzten auf Abwehr. Viele Reedereimanager wollten lange nicht wahrhaben, dass eine solche Haltung den Medien immer wieder Steilvorlagen liefert und die Kritik und Polemik erst recht befeuert, bis einem das Ganze – wie wir nun erleben – medial regelrecht um die Ohren fliegt.

Wo sehen Sie den Auslöser, dass die Cruise-Industrie als dermassen invasiv und umweltschädigend dasteht?

Zunächst einmal: die Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Und da bietet sich die Kreuzfahrtbranche im Zuge der gegenwärtigen Klimadebatte mit ihren überall sichtbaren Schiffen als ideales Feindbild und Symbol des bösen, dekadenten und modernen Massentourismus an. Auch wenn die Kreuzfahrtbranche immer noch eine touristische Nische und die Verbreitung weltweiter Flugreisen, Hotelghettos an Land, Erscheinungen wie Airbnb oder die wachsende Mobilität immer weiterer Bevölkerungskreise absolut gesehen wohl das viel grössere Problem sind: gerade die grossen Mainstreamschiffe, vor allem wenn sie massiert auftreten, bilden in gewissen kleineren Häfen oft einen fast schon surreal, zuweilen beängstigend wirkenden Kontrapunkt. Das, zusammen mit den erwähnten kommunikativen Fehlleistungen der Branche sowie dem daraus resultierenden Medien-Bashing spielt den Kritikern und Influencern seit geraumer Zeit in die Hand.

«Hinter den Kulissen brodelt es, Nervosität macht sich breit»

Wenn Sie von touristischer Nische sprechen: können Sie uns ein paar Vergleichszahlen nennen?

Der Anteil von Kreuzfahrtschiffen innerhalb der weltweiten Hochseehandelsflotte beträgt zum Beispiel weniger als 1 Prozent. Von den 25 Millionen jährlichen Touristen in Venedig sind lediglich 6 Prozent, nämlich 1,5 Millionen Kreuzfahrer. In Barcelona sieht das Verhältnis jährliches Verkehrsaufkommen Flughafen/Kreuzfahrtgäste so aus: rund 50 Millionen versus 2,7 Millionen Kreuzfahrer. Natürlich kann dieses Verhältnis in anderen Regionen und Häfen ein ganz anderes sein, wo Kreuzfahrtgäste in der Tat überproportional dominieren. Trotzdem: die jährliche Passagierzahlen sämtlicher Hochseekreuzfahrtschiffe weltweit – dieses Jahr erwartet die Branche 30 Millionen Passagiere – entsprechen gerade einmal etwas mehr als der Hälfte der jährlichen Gästeanzahl alleine von Las Vegas. Wenn man diese noch mit der einen Million Gäste in Relation setzt, welche jährlich das Jungraujoch besuchen, relativiert das doch einiges und zeigt klar, dass die Kreuzfahrtindustrie so gross und mächtig, wie sie so oft dargestellt wird, beileibe noch nicht ist.

Als wie stark erachten Sie den «Schaden», der den Reedereien derzeit wegen Umweltvorwürfen erwächst?

Auch wenn die Branche vordergründig nicht müde wird, einen geschäftsschädigenden Einfluss herunterzuspielen: hinter den Kulissen brodelt es, und in den Chefetagen, den PR- und Marketingabteilungen, aber auch im Vertrieb, macht sich zunehmend Nervosität breit. Was verständlich ist: es kann nicht im Interesse der Branche liegen, wenn sich potentielle und vor allem zukünftige Kunden schämen müssen, sich als Kreuzfahrtanhänger zu outen. Dafür stehen für die nächsten Jahre zu viele neue Schiffe in den Orderbüchern. Das Problem sind dabei weniger die bestehenden Kunden, die bleiben den Reedereien grösstenteils auch weiterhin treu. Bei der Akquirierung von Neukunden, auf die alle Reedereien scharf und im Zuge der erstellten Wachstumsprognosen angewiesen sind, sieht es nun unter Umständen aufgrund des angeschlagenen Images aber etwas anders aus.

Wo müssen Kreuzfahrt-Unternehmen ansetzen, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen?

Die Branche muss insgesamt wieder sexyer, vor allem aber in ihrer Aussenwirkung wieder sympathischer werden. Und das sollte möglichst schnell geschehen. Voraussetzungen dafür: vermehrte Dialog- und Kooperationsbereitschaft, auch gegenüber Kreisen, welche eher Vorbehalte gegen die Kreuzfahrten hegen, gepaart mit einer transparenteren und offensiveren Informations- und Kommunikationspolitik. Vor allem aber: die Kritikpunkte ernst nehmen und konstruktiv darauf eingehen. Eine Haltung, wie sie erfreulicherweise nun auch der Branchenverband Cruise Lines International Association CLIA endlich und vermehrt zeigt.

Wird das reichen?

Die Branche hat mit ihrer zunehmend modernen Flotte viel zu bieten und übertrifft beispielsweise in Sachen Umwelttechnik schon heute so manches Hotel an Land. Nur ist das bislang noch zu wenig bekannt. Auch steht die technologische Entwicklung nicht still. Diese sollte von allen Playern noch konsequenter und zielgerichteter vorangetrieben, gleichzeitig bei Verstössen gegen Umweltgesetze härter durchgegriffen und die schwarzen Schafe einschneidender sanktioniert werden. Kommunikativ stünde es der Branche in meinen Augen angesichts ihres bisherigen anhaltenden Erfolgs gut an, zuweilen auch mal etwas mehr Bescheidenheit zu zeigen und nicht permanent nur von ständigem Wachstum - auch was die Grössenentwicklung der Schiffe betrifft – zu sprechen; das wirkt im momentanen politischen und sozialen Umfeld weniger arrogant. Wichtig auch: offen Dinge ansprechen, die im Moment vielleicht noch nicht so gut laufen, anstatt sich in mantramässiger Schönrederei zu verlieren oder Dinge zu versprechen, die man nicht halten kann. Das würde manchen Kritikern – vorerst mal – Wind aus den Segeln nehmen und die Bereitschaft erhöhen, sich auch die Argumente der Cruise Industrie genauer anzuhören.

(GWA)