Cruise

Einer der international gefragtesten Schifffahrtsanalysten und Kreuzfahrtexperten: Thomas P. Illes. Bilder: TPI/TN

«Kreuzfahrten sind ein ziemlich erklärungsbedürftiges Produkt»

Yves Eberli

Cruise-Experte Thomas P. Illes ortet weiterhin ein grosses Entwicklungspotenzial bei den Kreuzfahrten und sagt, welche Vorurteile bei Schiffsreisen fehl am Platz sind.

Herr Illes, auf welchem Schiff waren Sie zuletzt unterwegs?

Thomas P. Illes: Meine letzte Reise führte mich im Rahmen eines Beratungsmandats an Bord Oceania Cruises’ Marina von Civitavecchia nach Monaco eine Woche aufs Mittelmeer.

Wie beurteilen Sie die Nachfrage nach Kreuzfahrten in den letzten Jahren?

Wenn man sich die Zahlen anschaut, wird einem schnell klar: Die Kreuzfahrt-Industrie boomt – sie ist nach wie vor eines der wachstumsstärksten Segmente im Tourismus. In der Schweiz zeigt die Nachfrage-Kurve mittlerweile nicht mehr ganz so steil nach oben wie zum Beispiel in Deutschland oder anderen Märkten. Doch selbst unser nördlicher Nachbar wurde kürzlich von China als nach Nordamerika neu weltweit zweitgrösster Kreuzfahrtmarkt abgelöst. Grundsätzlich ist die Kreuzfahrt-Branche im Tourismus aber nach wie vor ein Nischen-Segment, allerdings mit weiterhin sehr grossem Entwicklungspotenzial.

Erst zwei Prozent der Schweizer haben laut Studien eine Kreuzfahrt gemacht. Auf was führen Sie diese Zahl zurück?

Viele Leute haben nach wie vor Vorurteile, wenn es um das Thema Kreuzfahrten geht: zu langweilig, nur etwas für Senioren, Massenaufläufe, zu reglementiert, zu teuer. Die allermeisten Leute, die bereits auf einer Kreuzfahrt waren, zeigen sich jedoch begeistert und werden zu überzeugten Repeatern. Wichtig ist jedoch, dass sie im Vorfeld richtig beraten wurden und das für sie passende Schiff finden.

«Die Kreuzfahrt-Industrie boomt – sie ist nach wie vor eines der wachstumsstärksten Segmente im Tourismus»

Werden denn viele interessierte Kreuzfahrtkunden falsch beraten?

Leider kommt das aufgrund der Fülle des Angebots gepaart mit fehlenden Produktkenntnissen immer noch viel zu oft vor. Kreuzfahrten sich nach wie vor ein ziemlich erklärungsbedürftiges Produkt. Und um Cruise-Newcomer überhaupt mal auf ein Schiff zu bringen, braucht es oftmals viel Überzeugungsarbeit. Auch seitens etlichen Reisebüros läuft hier als Resultat einer suboptimalen Beratung immer noch viel schief.

Sind denn die von Ihnen genannten Vorurteile gegenüber Kreuzfahrten alle falsch?

Etliche der Vorurteile, gerade wenn es zum Beispiel um Themen wie Overtourism geht, sind nicht einfach in Abrede zu stellen. Allerdings kommt es auch hier sehr auf die einzelnen Destinationen und Schiffsklassen an. Auf grossen - und entsprechend preiswerteren - Mainstreamschiffen im Volumenmarkt hat es nun mal, wie in grossen Hotelkästen an Land auch, viele Menschen. Längst nicht alle Kreuzfahrtschiffe sind aber riesige, sogenannte «Massenbespassungsdampfer», und nicht alle fahren nach Venedig, Barcelona oder Dubrovnik. Hinzu kommt: Venedig hat im Jahr ca. 30 Millionen Touristen, davon sind 1,6 Millionen Kreuzfahrtgäste. In Barcelona sieht’s ähnlich aus: 2,7 Millionen Kreuzfahrtgästen stehen insgesamt 47 Millionen Flugankünfte am Flughafen «El Prat» gegenüber. Die jährliche Passagierzahl sämtlicher Hochseekreuzfahrtschiffe weltweit entspricht überdies gerade einmal etwas mehr als der Hälfte der jährlichen Gästeanzahl von Las Vegas.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Preisentwicklung bei den Kreuzfahrten?

Hier gibt es zwei Tendenzen zu nennen. Das «Mainstream-Segment» verfügt mittlerweile aufgrund immer grösserer Schiffe und den damit verbundenen tieferen Betriebskosten pro Gast über ein fast unschlagbar günstiges Preis-/Leistungsverhältnis, gerade wenn man es mit einem Hotelangebot an Land vergleicht. Auf der anderen Seite gibt es vor allem im wachsenden Luxus- und Expeditionsbereich immer mehr auch sehr teure Angebote. Immer mehr Leute, vor allem auch viele Schweizer, wollen mit kleineren Spezialschiffen in unerschlossenere Gebiete, zum Beispiel in entfernte Polargebiete wie die Antarktis, aufbrechen. Diese Gäste wollen nicht einfach «bespasst» werden, sie brauchen keine Rutschbahnen oder GoKarts. Sie suchen vor allem das emotionale Reise- und Destinationserlebnis, wollen gleichwohl auf allerhöchstem Komfortniveau reisen und sind bereit, dafür den entsprechenden Aufpreis zu bezahlen.

Auf welche Neuerungen kann sich der Kunde in den nächsten Jahren freuen?

Zunächst einmal weiterhin auf zahlreiche Neubauten. Technologie und Digitalisierung -Stichwort «Smartship» - werden ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Die Branche zeigt sich sehr innovationsfreudig. Einerseits mittels immer ausgefeilteren und individuelleren Gastronomie-, Unterhaltungs- und Sportmöglichkeiten an Bord. Man kann natürlich diskutieren, ob es Sinn macht, mit GoKarts auf einem Kreuzfahrtschiff herumzufahren oder sich auf einem Schiff tätowieren zu lassen (bei Virgin Voyages ab 2020 möglich). Aber dieser Trend wird weitergehen - jede Reederei will Features anbieten, die es auf einem Schiff zuvor noch nicht gegeben hat und neue Kundengruppen ansprechen. Auch die Angebotsgestaltung bei den Expeditions-Kreuzfahrten wird immer facettenreicher. Zudem werden auch umweltfreundlichere Schiffsantriebe diskutiert - von der Nutzung der Brennstoffzelle über Hybridkonzepte bis hin zur Windkraft, auch wenn es noch lange dauern wird, bis wir das erste emissionsfreie Kreuzfahrtschiff sehen werden.

«Längst nicht alle Kreuzfahrtschiffe sind riesige Massenbespassungsdampfer»

Ein Wort zur kürzlich getauften AIDAnova, dem ersten Kreuzfahrtschiff welches komplett mit Flüssigerdgas betrieben wird.

Ein wichtiger, wegweisender und richtiger Schritt in Richtung umweltverträglichere Kreuzfahrt. Aber bei weitem noch nicht das Ende der Fahnenstange. Denn auch wenn LNG (Liquefied Natural Gas) bedeutend emissionsärmer als herkömmliche Treibstoffe ist, verfügt LNG auch über ein paar Nachteile, die nicht wegzudiskutieren sind.

«Beim Thema Overtourism muss die Zusammenarbeit, Kommunikation und Koordination zwischen Reedereien, Häfen und restlichen Stakeholdern besser und effektiver werden», fordert Thomas P. Illes.

Welche Herausforderungen warten auf die Cruise-Branche?

Neben Umweltaspekten ist Overtourism - wie in anderen Bereichen des Tourismus auch - sicher ein viel und zu Recht diskutiertes Thema. Hier müssen die Zusammenarbeit, Kommunikation und Koordination zwischen den Reedereien, Häfen und den restlichen Stakeholdern klar besser und effektiver werden, um gemeinsam kreative Lösungen zur Entschärfung des Problems zu finden. Diesbezüglich ist aber in letzter Zeit einiges in Bewegung geraten - insgesamt zeigt sich die Branche gesprächsbereiter, als auch schon. Muss sie auch, denn es kann nicht in ihrem Interesse liegen, imagemässig - ob nun zu Recht oder Unrecht - weiter Federn zu lassen.

Welche neuen Routen gibt es auf den Weltmeeren?

Grundsätzlich neue Routen, ausser vielleicht im in den nächsten Jahren enorm wachsenden Expeditionsbereich, lassen sich natürlich nur noch schwer aus dem Ärmel schütteln. Die Reedereien arbeiten jedoch daran, immer wieder mal neue, bislang weniger bekannte Häfen in ihr Programm aufzunehmen. Auch werden immer mehr bislang exklusive Routen und Destinationen auch Gästen von grösseren «Mainstream-Schiffen» zugänglich gemacht. Was dann natürlich wieder das Overtourism-Problem aufkeimen lässt... Neu ist auch die saisonale Ausweitung gewisser Routen, zum Beispiel in Form von nordischen Winter- und Adventskreuzfahrten. Hoch im Kurs stehen momentan natürlich auch Reisen nach und rund um Kuba.