Tourismuswelt

Planen ein Boutique-Hotel mittels Crowdsourcing: Kristin Lindenberg und Marcus Orbé von Amberlair.

Crowdfunding, eine Chance für die Reiseindustrie

Ben West

Kein Bank-Kredit für Ihr jüngstes Tourismus-Projekt? Versuchen Sie es doch mal übers Internet. Kristin Lindenberg und Marcus Orbé machens vor.

Dachten Sie, Sie bräuchten ein gigantisches Bankkonto, um ein Hotel zu besitzen? Denken Sie um. Das Konzept des Crowdfunding ändert die Finanzierung von Tourismusprojekten komplett.

Immer mehr touristische Unternehmen — vor allem Hotelgruppen — haben Crowdfunding entdeckt. Via Online-Kampagnen sammeln oder investieren Menschen Geld, um neue Hotels, Reisetechnologien oder Tour-Projekte zu finanzieren, die von Banken nicht unterstützt werden.

Um bestimmte Projekte zu entwickeln, nutzen Tourismusunternehmen zudem sogenanntes Crowdsourcing, also online gesammeltes Wissen und Ideen. So setze beispielsweise Marriott International auf digitales Crowdsourcing, um Input für Markeninnovationen wie das Design der Badetücher oder der Verkaufsmaschinen in den Lobbies zu erhalten.

Crowdfunding entwickelt sich rasend schnell. Laut der Plattform Crowdsourcing.org betrug das weltweit gesammelte Crowdfunding-Volumen 2012 noch 2,7 Milliarden US Dollar, ein Jahr später 6,1 Milliarden US Dollar, 2014 bereits 16,2 Milliarden US Dollar, und 2015 geschätzte 34,4 Milliarden US Dollar.

Im vergangenen Jahr gelang es dem Luxusresort Weissenhaus in Hamburg beispielsweise, mit Crowdfunding unglaubliche 6,3 Millionen Euro von über 1400 Geldgebern zu sammeln, um Erweiterungsbauten zu finanzieren. Und das Start-up Amberlair, das das erste Massen-finanzierte Boutique-Hotel der Welt eröffnen möchte, ruft Investoren dazu auf, nicht nur das notwendige Kleingeld für das Projekt beizusteuern, sondern auch bei der Location und dem Design des Hauses mitzureden. «Viele reiseerfahrene Menschen teilen unsere Leidenschaft für kleine Hotels mit Atmosphäre, und Crowdfunding nutzt diese Passion», sagt Marcus Orbé, gemeinsam mit Kristin Lindenberg Amberlair-Mitbegründer. «Wir möchten unsere Gäste vom Tag eins an miteinbeziehen. Dank Crowdsourcing und Social Media ist dies möglich, und unsere Investoren sind mit Herz und Seele dabei.»

Aufbruch in eine neue Welt des Reisens

Ein Euromonitor-Report aus dem Jahr 2015 zeigt, dass typischerweise Möchtegern-Hoteliers Konsumenten via Social Media dazu anhalten, Ideen für Übernachtungsmöglichkeiten sowie Feedback zum Hoteldesign und zu wichtigen Entwicklungsphasen beizusteuern. Dann suchen sie via Crowdfunding individuelle Investoren. Als Belohnung winken Gratis-Übernachtungen oder andere Leistungen bei zukünftigen Hotelbesuchen.

Prodigy Network, ein Immobilien Crowdfunding Unternehmen, will in New York ein Hotel mit 194 Zimmern für Kurz- und Langzeitaufenthalte bauen (sogenannten Cotels), das massenfinanziert ist. Der Report prophezeit, dass vor allem der Luxusreise-Sektor auf den Trend aufspringen wird, da Crowdfunding eine relativ lange Vorlaufzeit braucht und sich das Konzept am Besten für individuelle Hotels mit einzigartigen Merkmalen eignet.

Ein früher Verfechter des Crowdfundings war Tribe Wanted, ein Start-up-Reiseanbieter für abgelegene Gebiete. Das Unternehmen griff 2006 auf Crowdfunding zurück, nachdem klar wurde, dass es keine Bankkredite erhalten würde. Das war noch bevor Crowdfunding-Plattformen wie Pilze aus dem Boden sprossen. Tribe Wanted lancierte seien Finanzierungskampagne via PR, E-Mail und die eigene Website. In nur drei Monaten erhielt das Start-up so viel Kapital, dass es drei Monate später loslegen konnte. Bei einer Investition von 120 Pfund (168 Franken) konnten Geldgeber eine Gratis-Woche auf einer Fidschi-Insel verbringen. Rund 1000 Personen kamen diesem Aufruf nach und ermöglichten es Tribe Wanted, für das Leasing der Insel zu bezahlen und Privatferien anzubieten.

Immer mehr Experten sind der Meinung, dass Crowdsourcing das Potenzial hat, die Hotelkreation und das Hoteldesign der Zukunft radikal zu verändern. Möglicherweise löst es einen Trend zu Themenhotels aus, die von Kleininvestoren mit einer gemeinsamen Leidenschaft finanziert werden. Neben dem notwendigen Geld wird so gleich auch noch die Nachfrage garantiert. Die gemeinsame Passion kann sich auf ein Hobby beziehen, auf ein Buch, eine TV-Show oder einen Film. So könnten beispielsweise Star Trek- und Game of Thrones-Hotels entstehen oder Töpferei-Bed&Breakfasts gegründet werden. In einer Zeit, in der viele Tourismusunternehmen personalisierte Angebote verkaufen, dürften Unterkünfte, die vom Reisenden kreiert, designt und finanziert werden, viele Menschen ansprechen. Eins ist sicher: Crowdfunding eröffnet uns eine ganz neue und aufregende Welt des Reisens.