Tourismuswelt

Am Sitz von Hitz & Partner an der Münzgasse in der Luzerner Innenstadt: Cédric Vollmar (Partner, Mitglied des Verwaltungsrates, links) und Stephan Hitz (Managing Partner, Verwaltungsratspräsident). Bild: TN

«Der Leidensdruck vieler Unternehmen nimmt rasant zu»

Gregor Waser

Das mehrheitlich im Tourismus tätige Beratungsunternehmen Hitz & Partner Corporate Finance AG beschränkt sich nicht ausschliesslich auf M&A Transaktionen, sondern berät im Bereich Restrukturierung in der aktuellen Krise auch angeschlagene Unternehmen. Stephan Hitz und Cédric Vollmar sprechen im Interview über die ausserordentliche Marktsituation und Wege der Sanierung.

Herr Hitz: Wie beurteilen Sie die letzten Monate für die Tourismusindustrie?

Stephan Hitz: Die Reisebranche florierte in den letzten Jahren, allerdings mit tiefen Gewinnmargen im unteren, einstelligen Bereich. Seit dem Lockdown anfangs März und den globalen Reiserestriktionen sind bekanntlich die Umsätze gänzlich eingebrochen. Was übrig blieb war die grosse Verunsicherung und die damit verbundenen Umbuchungen beziehungsweise Rückerstattung von Kundenanzahlungen. Löblicherweise hat der Bundesrat aufgrund der ausserordentlichen Lage mit Massnahmen wie der Kurzarbeitsentschädigung und weiterer Unterstützungsmassnahmen sehr rasch reagiert und damit auch der Reisebranche etwas Zeit verschafft. Zum Covid-Kredit muss man sagen, dass die rasche Umsetzung des Bundesrats wohl weltweit einzigartig war und von einigen Staaten auch kopiert wurde. Dies war sicher positiv, um nach dem harten Lockdown der Wirtschaft rasch unter die Arme zu greifen.

Allerdings galt die Unterstützung für die Inhaber in arbeitgeberähnlicher Anstellung nur kurzzeitig bis Ende Mai, was erstaunt. Gemäss SRV-Factsheet sind 88 Prozent der 1300 Reisebüros unabhängig. Rund ein Drittel beschäftigt bloss drei bis vier Mitarbeiter inklusive Inhaber und deren Partner. Sie sind davon stark betroffen, obschon die KMU geführten Unternehmen das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft bilden und Ihre Entscheidungsfreiheit durch staatlich verordnete Massnahmen stark eingeschränkt ist. Daher ist es unverständlich, dass ausgerechnet arbeitgeberähnliche Angestellte entgegen anderslautender Ankündigungen des Bundesrates wieder vorzeitig von der Kurzarbeit ausgeschlossen wurden. Dies zerrt an der Unternehmenssubstanz und führt gerade bei inhabergeführten KMU’s rasch zur Besorgnis einer drohenden Überschuldung.

Offensichtlich stehen viele grosse und kleine Player jetzt vor einem Berg von Problemen. Welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation im Bereich Corporate Finance und Mergers & Acquisitions? Gab es in diesem Jahr schon viele Deals oder stehen solche jetzt vermehrt an?

Stephan Hitz: Vor dem Lockdown gab es durchaus eine rege Aktivität und zahlreiche internationale Transaktionen innerhalb der Reisebranche konnten erfolgreich vollzogen werden, etwa der Management Buyout von Müller-Touristik in Deutschland oder die Übernahme der ehemaligen Spezialisten von TUI AG namentlich Berge & Meer sowie Wolters Reisen beziehungsweise der Verkauf von Ameropa-Reisen durch die Deutsche Bahn an einen Finanzinvestoren. Nach der Ankündigung des Lockdowns wurden laufende Transaktionsprojekte, weltweit und nicht nur bezogen auf die Reisebranche, unmittelbar auf Eis gelegt oder gänzlich abgesagt, unter anderm die bereits angekündigte Fusion zwischen Globalia und Barcelo im spanischen Markt, oder die Übernahme von Cruiseline (OTA) durch einen Finanzinvestoren. In jüngster Zeit sehen wir wiederum vereinzelte Transaktionen wie zum Beispiel die vollständige Übernahme von Silversea Cruises durch Royal Caribbean Cruises im Juli 2020, oder der kürzlich angekündigte Börsengang (IPO) von Airbnb, welcher im Verlaufe der zweiten Jahreshälfte 2020 stattfinden soll.

Der Leidensdruck bei vielen Unternehmen nimmt derzeit rasant zu. Globalia ist in laufenden Gesprächen mit IAG in Sachen Air Europa. Inwiefern in der aktuellen Situation auch ein Notverkauf zustande kommt, werden wir in den nächsten Monaten beobachten können. Im Bereich «distressed M&A» werden wohl weltweit noch einige Unternehmen fusionieren und so eine beschleunigte Konsolidierung vorantreiben.

Aus Käufersicht könnte die Ausgangslage derzeit wohl nicht besser sein, um günstige Übernahmen zu tätigen. Ist das so?

Cédric Vollmar: Im jetzigen Marktumfeld bieten sich zahlreiche Übernahmegelegenheiten, da offensichtlich auch gestandene Unternehmen aufgrund von Covid-19 in ernsthafte Schieflage geraten sind. Der Ausblick, insbesondere auch in der Reisebranche, ist daher mit vielen Unsicherheiten behaftet, welche ein Käufer bei der Evaluation potentieller Übernahmekandidaten sorgfältig prüfen sollte. Insofern hat sich eher ein Käufermarkt entwickelt. Ein tiefer Kaufpreis heisst nicht gleichzeitig eine günstige Übernahme. Für einen Käufer sind gerade die Unsicherheiten des Marktes in einer solchen besonderen Lage schwer einschätzbar. Derzeit ist es ungewiss, wie sich der Geschäftsgang in den nächsten 12 bis 18 Monaten entwickelt. Wer jetzt einsteigt, muss damit rechnen, dass eventuell weitere Refinanzierungen erforderlich werden.

«Bei den Reiserestriktionen sollten möglichst globale Spielregeln ausgearbeitet und umgesetzt werden»

Welches sind Ihrer Meinung nach derzeit die grössten Unsicherheiten?

Cédric Vollmar: Da gibt’s zwei Ebenen: einerseits die Hoffnung auf einen baldigen Impfstoff und die Ungewissheit, ob und wann dieser kommt. Andererseits das politische Umfeld mit den Unsicherheiten von dauernd angepassten Einreisebeschränkungen beziehungsweise Quarantänevorschriften. Gerade bei den Reiserestriktionen sollten möglichst globale Spielregeln ausgearbeitet und umgesetzt werden, welche die Planbarkeit für alle Marktteilnehmer im Tourismus positiv beeinflussen würde.

Die nächsten 12 Monate werden für viele Unternehmen in der Reisebranche sehr schwierig. Mit welchen Empfehlungen richten Sie sich an Reisebüros und Touroperators?

Stephan Hitz: In den vergangenen Monaten haben wir zahlreiche Gespräche mit Unternehmern innerhalb und ausserhalb der Reisebranche geführt. Grundsätzlich müssen die Verantwortlichen aller Unternehmen ihre spezifischen Handlungsoptionen sorgfältig prüfen. Dies beginnt mit einer kurz- und mittelfristigen Liquiditätsplanung, der Einleitung notwendiger Sparmassnahmen, der Anpassung des Geschäftsmodels bis hin zur Analyse realistischer Optionen. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten 12 Monaten zahlreiche Unternehmen ihre Kapitalbasis stärken müssen. Hier gilt es ein besonderes Augenmerk darauf zu werfen, insbesondere sofern die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt sind. In diesem Fall hat der Verwaltungsrat den Aktionären unverzüglich Sanierungsmassnahmen zu beantragen. Allfällige Covid-19-Kredite müssen für die Berechnung der Deckung von Kapital und Reserven und die Berechnung der Überschuldung bis zum 31. März 2022 nicht als Fremdkapital berücksichtigt werden. Bei einem Covid-Kredit gilt es allerdings genau zu prüfen, ob man diesen beanspruchen will. Die Rückzahlung muss innerhalb fünf bis sieben Jahren erfolgen und schränkt die unternehmerische Freiheit stark ein, etwa bei der Auszahlung von Dividenden.

Bevor allfällige Sanierungsmassnahmen eingeleitet werden, empfehlen wir die konkreten Massnahmen aus operativer, finanzieller und steuerlicher Sicht sorgfältig zu prüfen. Im Einzelfall gilt es zu entscheiden, inwieweit eine Fortführung des Unternehmens, oder eine geordnete Übergabe beziehungsweise Liquidation der Geschäftsaktivitäten möglich und sinnvoll ist. Als geordnete Übergabe würden wir die kürzlich bekanntgegebene Übernahme von Kunden und Mitarbeiterverträgen durch DER Touristik Suisse einordnen. Echte Sanierungsmassnahmen wie die Zufuhr neuen Kapitals sind dort angezeigt, wo die Fortführung eines Unternehmens nachhaltig gesichert ist. Der vereinbarte Kaufpreis fliesst dann in der Regel in die zu sanierende Gesellschaft und nur sekundär an deren Eigentümer. Dabei kommt der Bewertung vor und nach entsprechender Kapitalerhöhung besondere Bedeutung zu, sprich die Thematik der Verwässerung von bisherigen Eigentumsverhältnissen.

Scheint es nicht unrealistisch, in dieser schwierigen Zeit einen rettenden Arm eines Investors zu finden? Gibt es überhaupt bereitwillige Investoren, die auf die Reisebranche blicken?

Stephan Hitz: Die Ausgangslage ist sicher nicht ganz einfach. Wir sind dennoch im Gespräch mit verschiedenen Investoren, die nach wie vor in spannende Projekte investieren wollen, allerdings in Unternehmen mit nachhaltigen, mittelfristigen Zukunftsaussichten.

Ist dies der typische Moment, wo Hitz & Partner aktiv wird, um einem Unternehmen bei der Investorensuche zu helfen?

Cédric Vollmar: Wir verstehen uns nicht nur als M&A-Berater in guten Zeiten, sondern auch als ganzheitlicher Berater in der aktuellen schwierigen Marktsituation, in der viele Firmen Hilfe und externes Know-how benötigen. Da stehen wir gerne zur Verfügung und versuchen unser fachliches Wissen und unsere Erfahrungen gerade auch in dieser krisengeschüttelten Branche im Interesse dieser Firmen einzubringen, um möglichst realistische Entscheidungsgrundlagen für die Aktionäre im Interesse der Gesellschaft zeitnah zu erarbeiten und umzusetzen.

«Der nachhaltige Tourismus hat mittel- und langfristig nach wie vor ein enormes Wachstumspotential»

Was sagen Sie einem branchenfremden Investor, der sich Gedanken macht, in den Tourismusmarkt einzusteigen? Welche Tourismusbereiche und Geschäftsarten werden in absehbarer Zeit wieder zulegen?

Cédric Vollmar: Wir beobachten in den jeweiligen Märkten, dass nur wenig branchenfremde Finanzinvestoren überhaupt in die Reisebranche investieren. Der Grund liegt in den tiefen Gewinnmargen und der hohen Marktvolatilität aufgrund von zahlreichen ausserordentlichen Events wie zunehmend auch Pandemien. Aus unserer Sicht hat die Mobilität und insbesondere der nachhaltige Tourismus mittel- und langfristig nach wie vor ein enormes Wachstumspotential. Dabei sollte nicht ausser Acht gelassen werden, dass der Tourismus weltweit mit einem BIP von rund 11 Prozent zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen und Arbeitgebern zählt. Daher werden auch zukünftig zahlreiche Investoren in innovative Geschäftsmodelle mit attraktiven Cash-flow regelmässig in die Reisebranche investieren.

Welche globalen Änderungen erwarten Sie im Tourismusbusiness? Welche Veränderungen erwarten Sie in den Bereichen Touroperators, Hotellerie und Airlines?

Cédric Vollmar: Aufgrund der gegenwärtigen Ausgangslage erwarten wir eine beschleunigte Konsolidierung sämtlicher Branchen. Im Schweizer Markt hat die Konsolidierung bei den Tour Operator weitestgehend bereits stattgefunden. Die Hotellerie steht seit Jahren unter einem steten Preis-/Leistungsdruck und wird bekanntlich zunehmend durch alternative «shared-economy» Geschäftsmodelle konkurrenziert. Nicht zuletzt deshalb stehen aktuell allein in der Schweiz über 200 Hotelbetriebe zum Verkauf. International dürfte es bei den grossen Hotelketten zu einer zusätzlichen Konsolidierung kommen. Die nach wie vor bestehenden internationalen Reiserestriktionen sowie die laufende Klima-Debatte beschleunigen die Diskussion über das Flugverhalten von Reisenden. Unter Berücksichtigung der bestehenden Überkapazitäten wird die Konsolidierung von Airlines unumgänglich, siehe etwa die Fusionsgespräche zwischen Condor und Tui Fly. Da werden wohl einige Airlines, die sich in einer noch schwierigeren Situation befinden, noch folgen.