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Derzeit herrscht Kehraus-Stimmung im Grossen Basar in Istanbul. Bild: Fotolia

Anschlag in Istanbul bedroht den Tourismus

5,5 Mio. Deutsche reisten letztes Jahr in die Türkei. Wieviele davon werden nun ausbleiben?

Mittlerweile hat die türkische Polizei fünf Personen, die im direkten Zusammenhang mit dem Anschlag vom 12. Januar 2016 stehen sollen, in Gewahrsam genommen. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière konnte bislang keine Hinweise finden, dass der Anschlag gezielt Deutschen gegolten hat. Die Vermutung liegt nahe, da Deutschland seit dem 8. Januar mit zwei Tornado-Jets der Bundeswehr die Luftangriffe gegen den IS in Syrien und im Irak unterstützt.

Der deutsche wie auch der türkische Innenminister bemühen sich darum, die Gefahren einer Türkei-Reise objektiv einzuschätzen. De Mazière sagte, er sehe keinen Grund, von Reisen in die Türkei abzusehen. Reisende sollen aber die Informationen des Auswärtigen Amtes beachten. Dieses hat sich für die Türkei vorerst auf eine mittlere Warnstufe festgelegt und rät bei Reisen nach Istanbul zu erhöhter Vorsicht, touristische Attraktionen sollten gemieden und die Lage beobachtet werden.

Das EDA aktualisierte seine Reisehinweise am 12. Januar 2016 und schreibt "meiden Sie grössere Menschenansammlungen und Demonstrationen jeder Art. Halten Sie sich an die Anweisungen der lokalen Sicherheitskräfte (Absperrungen etc.) und bleiben Sie in Kontakt mit Ihrem Reiseveranstalter. Es wird generell empfohlen, wachsam und vorsichtig zu sein."

Türkische Hoteliers zeigen sich indessen besorgt. Die Türkei gehört nach Spanien und Griechenland zu den wichtigsten Zielen der Deutschen Pauschalreiseanbieter: 5,5 Mio. Deutsche sonnten sich im letzten Jahr an der türkischen Riviera. Sie lagen damit knapp vor den Russen. Durch die Reisewarnung, die Russland als Sanktion nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei ausgesprochen hat, bleiben diese aus.

Tunesien und Ägypten zählen hingegen nicht zu den Top-Ten unter den Auslandszielen der Deutschen. Fatal ist, dass die Verunsicherung gerade in der wichtigen Frühbucherphase kommt. Wie die Auswirkungen genau sein werden, ist schwierig abzuschätzen.

Tunesien zum Beispiel konnte sich nach dem Arabischen Frühling vom Tourismusloch erholen. Bis letztes Jahr kamen rund 400'000 deutsche Gäste jährlich ins Land. Die Zahl wuchs kontinuierlich — bis zu den Anschlägen in Tunis und am Strand von Sousse. Aktuell sind viele Strände leer und Hotels mussten schliessen, wie Torsten Schäfer vom Deutschen Reise-Verband gegenüber tagesschau.de sagte. Für 2015 würde er mit einem Rückgang der Zahl von Touristen aus Deutschland im zweistelligen Prozentbereich rechnen. Auch Ägypten erlebe eine Achterbahnfahrt. Im letzten Jahr verzeichnete sie einen Zuwachs im zweistelligen Prozentbereich an deutschen Reisenden, aber das könnte sich in diesem Jahr drastisch ändern.

Sicherheit, ein Verkaufsargument?

Martin Lohmann vom Institut für Tourismusforschung kennt die Probleme: Wenn Kreuzfahrtschiffe plötzlich einfach nicht mehr in Tunis anlegten oder sich Reiseveranstalter aus Sicherheitsgründen gegen Länder entscheiden würden, habe das fatale Folgen für die Destinationen. Denn der Tourismus sei eine der tragenden Säulen für Wirtschaftswachstum im Land.

Ängste und Sorgen der Reisenden werden relevanter für das Reisegeschäft. „Wir werden mehr und mehr neben schönen Hotels und Flügen auch Sicherheit in den Zielgebieten verkaufen“, schrieb DER-Touristik-Chef Sören Hartmann in einem Gastbeitrag in der „FVW“. Ein Argument, dessen sich bislang Schweiz Tourismus nicht bedienen will. Jürg Schmid, Direktor von Tourismus Schweiz, sagte im Interview mit travelnews.ch: "Sicherheit ist kein Reisemotiv, fehlende Sicherheit ist ein Ausschlusskriterium. Ich gehe nicht in ein Land, nur weil es sicher ist. Aber ich gehe nicht mehr, weil es nicht mehr sicher ist. Mit Sicherheit zu werben ist substanziell gefährlich." 

Der Islamische Staat (IS) hat sich zur Tat bislang nicht bekannt, die türkische Regierung ist sich aber sicher, dass der IS für den Anschlag verantwortlich ist. In anderen Fällen bekannte sich der IS relativ rasch zu den Anschlägen: Beim Absturz der russischen Passagiermaschine über dem Sinai dauerte es nur wenige Stunden, bis ein Bekennerschreiben auftauchte. Auch nach den Paris-Anschlägen verstrichen nur etwas zwölf Stunden, bis der IS die Täterschaft bestätigte.

Laut türkischen Behörden sei der Attentäter Nabdil Fadli als syrischer Flüchtling in die Türkei gekommen. Da er auf keiner Liste von Terrorverdächtigen auftauchte, sei der Mann nicht beobachtet worden. Fadli kam 1988 in Saudiarabien auf die Welt. Nach Angaben des Innenministeriums in Riad zufolge, verliess die Familie Fadli das Land im Jahr 1996. Später soll der 28-Jährige in einer Rebellengruppe gekämpft haben, die dann zum IS wechselte.

Am 5. Januar registrierte sich Fadli gemeinsam mit vier weiteren Männern bei der Einwanderungsbehörde in Istanbul. Ob es sich bei den Festgenommenen um diese vier anderen Männer handelt, ist noch nicht klar. Die deutsche Bundesanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Vier Beamte des Bundeskriminalamts sind zur Unterstützung der türkischen Ermittler nach Istanbul gereist. 

(LVE)